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Zwei Persönlichkeiten - Topmanagern, Forschern, Meinungsführern - tauschen sich über Erfahrungen, Analysen, Standpunkte zu einem strukturgebenden Thema in Bezug auf digitale Transformation und Energiewende.

Andrew Russel, Professor und Dekan für Künste und Wissenschaften am SUNY Polytechnic Institute von Utica in New York, hat im April 2016 gemeinsam mit Lee Vinsel den Essay „Hail the Maintainers“ veröffentlicht. Darin unterstreicht er die Notwendigkeit, eine Wende von der Innovation hin zur Maintenance zu vollziehen. Im Gespräch mit Dr. Reinhard Schlemmer, stellvertretendes Vorstandsmitglied von VINCI Energies in Europa, zugleich zuständig für Actemium und Axians in Deutschland und Fachmann für intelligente Industrielösungen, erläutern die beiden, inwiefern Innovation manchmal der Feind der Maintenance ist… und manchmal ihr stärkster Trumpf.

Wir erleben eine immer intensivere und schnellere digitale Transformation. Führt das nicht dazu, dass sich Wirtschaft und Institutionen zu stark auf Innovationen konzentrieren und dadurch die Maintenance vernachlässigen?

ANDREW RUSSELL. Zuerst möchte ich unterscheiden zwischen der Innovation an sich einerseits und dem Reden über Innovation andererseits. Wir beobachten, dass seit zwanzig Jahren heftig über Innovation diskutiert wird, insbesondere im Silicon Valley. Es geht dabei um das Internet, digitale Umbrüche, die Start-Up-Kultur usw. Die Leute reden einfach gerne über Innovationen! Natürlich weiß jeder von uns Kreativität und Erfindungsreichtum zu schätzen. Aber alle diese Diskussionen und Debatten – und die sich daraus ergebenden Investitionsentscheidungen – das ufert heute zu sehr aus. Und daraus ergibt sich ein großes Ungleichgewicht zu Ungunsten der Maintenance. Je mehr Zeit wir damit verbringen, über Innovationen zu reden, umso weniger Zeit verbringen wir mit Maintenance. In gewisser Weise ist das ein Nullsummenspiel.

REINHARD SCHLEMMER. Wir sollten uns auch gleich zu Anfang über die Unterschiede zwischen den USA und Europa klarwerden. In Europa, insbesondere in Deutschland, gibt es zwar viele Diskussionen über Innovationen, Industrie 4.0 oder das Internet der Dinge (IoT), aber unsere Kunden verfolgen noch immer einen anderen Ansatz als das Silicon Valley. Sie sind es nicht gewohnt, kurzfristig, in kurzen Investitionszyklen zu denken, und zögern ganz offensichtlich, innovative Lösungen sofort zu übernehmen. Sie tun das viel vorsichtiger, viel kalkulierter. Die amerikanischen Industriekunden sind viel eher bereit, sich auf neue Technologien einzulassen, neue Dinge auszuprobieren.

„Der Kunde entscheidet, ob er in die Maintenance oder in eine Produktionserweiterung investiert“

Sind die Maintenancekosten eine Erklärung für das Ungleichgewicht, über das Sie sprechen?

REINHARD SCHLEMMER. Unsere europäischen Kunden stehen bei diesen Fragen wegen des hohen Anteils großer Industrieanlagen unter Druck. Wir arbeiten gemeinsam mit ihnen an Lösungen zur Senkung der Maintenancekosten. Wir prüfen neue Ideen wie die „Predictive Maintenance“, die „Smart Maintenance“. Unsere Kunden wollen mit uns immer häufiger über solche Lösungen sprechen. So sind wir beispielsweise derzeit im Kontakt mit einem großen europäischen Chemiekonzern, einem Marktführer, der immer mehr Probleme hat, Personal zu finden, das noch bereit ist, seine Anlagen im Schichtbetrieb rund um die Uhr am Laufen zu halten.

Aber auch wenn modernisiert oder ein innovatives Maintenancekonzept implementiert werden soll, man kann sein Geld ja nur einmal ausgeben! Der Kunde muss selbst entscheiden, ob er in die Maintenance oder in eine Produktionserweiterung investiert.

ANDREW RUSSELL. Unter industriellen Gesichtspunkten ist die „Smart Maintenance“ recht faszinierend. Der Begriff deutet an, dass die Trennung zwischen Innovation und Maintenance stark von demjenigen abhängt, der ihn verwendet und welche Perspektive er hat.

Die spektakulärsten Innovationen, über die man derzeit in den Zeitungen liest, kommen aus dem digitalen Bereich. IT-Fachleute brauchen sich schließlich nicht um die vorhandene Infrastruktur zu kümmern, sie unterliegen nicht denselben Zwängen wie etablierte Industrieorganisationen. So ticken auch die Start-Ups im Silicon Valley: kurzfristige Rendite, fast jedes Quartal etwas Neues. Schnelle Ergebnisse sind gefragt.  Aber diese IT-Nerds sollten sich etwas mehr mit Maintenance beschäftigen – und umgekehrt.

REINHARD SCHLEMMER. Ich sehe das genauso wie Sie. Langfristiges Denken führt zu Perspektivwechseln.

„Die Kunden denken aktiv über innovative Möglichkeiten nach, um die Maintenancekosten zu senken und die Effizienz zu steigern.“

Ist es wirklich sinnvoll, Innovation und Maintenance als Gegensatz zu sehen? Wären nicht Organisationsstrukturen denkbar, wo sich beide ergänzen?

REINHARD SCHLEMMER. Die Frage ist: Tötet Innovation die Maintenance? Im Hightech-Sektor ist das bisweilen der Fall. Dort hält nichts ewig, alles ist so konzipiert, dass es irgendwann ausgetauscht wird. Aber noch einmal, wenn ich mir unsere Industriekunden und deren Geschäft anschaue, sehe ich ein anderes Verhaltensmuster. In der Industrie wird Innovation immer wichtiger, denn die Maintenancekosten sind für unsere Kunden ein wesentlicher Faktor. Deshalb denken die Kunden aktiv über innovative Möglichkeiten nach, um die Maintenancekosten zu senken und die Effizienz zu steigern.

ANDREW RUSSELL. Meiner Meinung gibt es drei Arten von Innovationen, um die Maintenancekosten zu senken – oder die Gewinne zu optimieren.

Die erste ist, einfach darauf zu achten, was wir mit der Technik anstellen und wie wir unsere Zeit „verbrauchen“. Fragen Sie sich mal, wieviel Zeit Sie innerhalb eines Tages oder einer Woche mit kreativen Dingen verbringen und wieviel mit alltäglichen Verrichtungen wie Händewaschen, Kochen, Putzen usw. Das ist ein gutes Mittel, um die Tugenden der Maintenance zu verstehen. Auch die innovativsten, kreativsten Köpfe können sich den Zwängen der Maintenance nicht entziehen!

Ein zweiter Ansatz ist daten-, statistik-, zahlenorientiert. Die Weltbank hat Daten veröffentlicht, welche die Bedeutung von Investitionen in Infrastrukturen und Maintenance für Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsmarkt zeigen. Die positiven Auswirkungen sollen sich auf mehrere Milliarden belaufen. Dinge zu beziffern ist ein Mittel, sich ihre Bedeutung vor Augen zu führen….

Drittens könnte man einfach mehr über Maintenance reden, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Über die Leute sprechen, die beispielsweise für die Technik an meiner Hochschule zuständig sind, für die Klimaanlage, für die Bestuhlung in den Unterrichtsräumen, die Reinigung usw. Sich bewusstmachen, dass es diese Berufe und diese Mitarbeiter gibt, dass sie eine wichtige Aufgabe haben – das wäre sehr nützlich.

„Das Wort „Innovation“ wird so aufgefasst, als ob die bestehende Ordnung umgestoßen wird, während der Begriff „Maintenance“ hauptsächlich für den Erhalt dieser Ordnung steht.“

Würden Sie sagen, dass der Begriff Innovation ein Bestandteil der Maintenance ist?

REINHARD SCHLEMMER. Es ist absolut möglich, in der Maintenance innovative Ansätze umzusetzen. Unsere Mitarbeiter sind in ihren Fachbereichen tagtäglich innovativ, insbesondere in der Maintenance, um Dinge zu verbessern, zu optimieren, dem Kostendruck im Bereich Maintenance und Instandsetzung standzuhalten. Die beiden Konzepte Innovation und Maintenance sind keine Gegensätze, kein Minus- und Pluspol.

ANDREW RUSSELL. Ich sehe das genauso. Es gibt innovative Möglichkeiten des Maintenance-Managements. Neben wir das Beispiel Uber, eine Firma, die Technik innovativ und interessant einsetzt. Wenn sich herkömmliche Firmen überzeugen ließen, diese Ideen für ihr eigenes Geschäft zu nutzen, wäre das innovativ, aber sie könnten sie auch schrittweise übernehmen, so dass überhaupt kein Umbruch spürbar würde.  Ein weiteres Beispiel: Zug- und Busunternehmen stellen ihre Echtzeit-Fahrpläne online, so dass die Fahrgäste sie über ihr Smartphone verfolgen können. Das ist ein gutes Beispiel für eine überhaupt nicht maintenancefeindliche Innovation.

REINHARD SCHLEMMER. Genau. Uber ist ein gutes Beispiel. In Deutschland wird ein ähnliches Konzept mit Daimler als Partner entwickelt. Immer mehr herkömmliche Taxi-Netzwerke imitieren jetzt Uber. Sie versuchen, diese Technik schnell zu übernehmen, um sich zu behaupten… oder zu überleben. Diese Art, sich anzupassen, um im Geschäft zu bleiben, ist ziemlich beeindruckend.

ANDREW RUSSELL. Aber es ist eine Tatsache, dass Maintenance und Innovation Gegensätze sind, wenn die Innovation unmittelbarer mit dem Konzept des technischen Umbruchs verknüpft ist. Das Wort „Innovation“ wird so aufgefasst, als ob die bestehende Ordnung umgestoßen wird, während der Begriff „Maintenance“ hauptsächlich für den Erhalt dieser Ordnung steht. Das ist letztlich eine Karikatur des Innovationsbegriffs, trifft aber auf eine starke, kulturbedingte Resonanz. Insbesondere in einer Welt, wo Innovationen mit Umbrüchen verbunden sind, wo Start-Ups große Probleme für bestehende Firmen oder sogar deren Konkurs mit sich bringen. Die Macht der Technik nur einzusetzen, um bestehenden Unternehmen wie Hotels oder Taxis das Geschäft wegzunehmen – das ist ursächlich für diese grobe Vereinfachung von Innovation auf einen grundsätzlich und ausschließlich zerstörerischen Akt.

Andrew Russell

Andrew Russell

Andrew Russell, Professor and Dean of Arts & Sciences at SUNY Polytechnic Institute in Utica, New York

Reinhard Schlemmer

Reinhard Schlemmer

Reinhard Schlemmer, Deputy Managing Director of VINCI Energies in Europe and responsible for smart industry solutions providers Actemium and Axians in Germany

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