Dieses Planungsverfahren auf Grundlage des maschinellen Lernens ist eine echte Chance für die Industrie: Es kombiniert menschliches Fachwissen, künstliche Intelligenz und Cloud-Computing.
Bisher nutzten Ingenieur:innen oder Planer:innen Computer als passive Maschinen. Aber ein neues Planungsverfahren, das „generative Design“, dürfte die Mensch-Maschine-Beziehung revolutionieren. Generatives Design ist ein kollaborativer Entwicklungsprozess, bei dem künstliche Intelligenz (KI) und Cloud-Computing zur Unterstützung der Planerin oder des Planers zum Einsatz kommen.
Mit der neuen Methode werden dem Planer, nachdem er beispielsweise über ein CAD-System Ziele, Anforderungen und Parameter festgelegt hat, nicht mehr nur einige, sondern hunderte oder gar tausende Möglichkeiten angeboten.
In einem iterativen Auswahlprozess werden dann die verschiedenen Möglichkeiten durchgespielt, bis die beste und leistungsfähigste, praxistaugliche Lösung gefunden ist. Dabei arbeiten Mensch und KI zusammen und spielen ihre jeweiligen Stärken aus. Die Planerin bzw. der Planer kann dann einen Prototyp fertigen und ihn ggf. noch einmal durch die KI laufen lassen.
Viele Vorteile
Die Vorteile des generativen Designs sind vielfältig. Es spart Zeit, fördert die Kreativität, sorgt für Einsparungen und ermöglicht komplexe Geometrien, die dann statt mit herkömmlichen Fertigungsverfahren per 3D-Druck hergestellt werden können. Eine einzigartige Lösung, um solidere, leistungsfähigere und kostengünstigere Werkstücke zu fertigen.
In der Industrie kommt das Generative Design immer häufiger zur Anwendung. So hat Airbus mit dieser Methode hochfeste, aber 45 % leichtere Trennwände für die Passagierbereiche in Flugzeugen entwickelt. Decathlon konzipierte damit eine besonders leichte, aber äußerst stabile Vorderradgabel für den Prototypen eines neuen Rennrads.
Am Anfang war das maschinelle Lernen
Das generative Design hat sich auf Grundlage des maschinellen Lernens entwickelt. Actemium, die Industriemarke von VINCI Energies, besitzt bereits umfangreiches Know-how in diesem Bereich. So verfügt unter anderem die belgische Food & Beverage-Division über ein schlagkräftiges Data Analytics-Team.
„Generatives Design hat Zukunft in der Nahrungsmittelbranche. Langfristig dürfte es hier gute Geschäftsmöglichkeiten geben.”
„Wir beschäftigen sieben Fachleute mit unterschiedlichen Stärken (ICT, Datenvisualisierung, KI, Big Data, maschinelles Lernen, Deep Learning, speicherprogrammierbare Steuerungen, Lean Production, Prozessoptimierung, Beratung, Verkauf usw.), erläutert Jeroen Pandelaere, Berater bei Actemium Food & Beverage Aalter. „Das generative Design passt perfekt in unsere Branche (Tierfutter, Nahrungsmittel, Getränke). Langfristig dürfte es hier gute Geschäftsmöglichkeiten geben.”
Unterdessen entwickelt Actemium Food & Beverage Aalter zahlreiche Anwendungen im Bereich maschinelles Lernen. Von der Vorhersage der Bestellmengen zur besseren Produktions- und Logistikplanung über die Erkennung von Unregelmäßigkeiten, die Verbesserung der Qualität und die optimierte Vorhersage des Anlaufens von Maschinen bis hin zur Erkennung von Texten und Zahlen sind vielfältige Anwendungsmöglichkeiten denkbar.
Digitaler Zwilling und virtueller Sensor
Zum Beispiel, erzählt Pandelaere, „wollte ein Kunde von uns einen zusätzlichen Wärmetauscher installieren, um Wärme aus verschiedenen Quellen rückzugewinnen. Wir haben die Problemstellung an einem digitalen Zwilling untersucht und eine leistungsfähigere, energiesparendere Lösung vorgeschlagen, für die letztlich nur ein zusätzlicher Temperaturfühler eingebaut werden musste.“
Aber Actemium Food & Beverage Aalter ging noch weiter und analysierte die verschiedenen Wärmequellen, um nur die ergiebigsten für die Rückgewinnung zu nutzen. Ein Vorgehen, dass der Kunde sehr zu schätzen wusste – bedenkt man doch, dass jeder Anschluss an den Wärmetauscher mit etwa 50.000 € zu Buche schlägt.
„Der nächste Schritt ist die Entwicklung eines Simulationsmodells für das verfügbare Speichervolumen, um davon abhängig Wärmequellen zu- und abzuschalten“, fügt der Berater von Actemium Food & Beverage Aalter hinzu.
Für einen anderen Kunden hat Actemium Food & Beverage Aalter ein Modell auf Grundlage eines virtuellen Sensors entwickelt, das den genauen Kühlwasserbedarf jedes Verbrauchers ermittelt. Die Berechnung erfolgt ausschließlich auf Grundlage des Gesamtverbrauchs und der Ventilstellung der verschiedenen Verbraucher (offen oder geschlossen).
„Wir haben uns auch die Zeiten angesehen, in denen die Gesamtsumme der Einzelverbräuche nicht gleich dem ermittelten Gesamtverbrauch war. Wir stellten fest, dass manche Ventile, die eigentlich offen sein mussten, nach Wartungsarbeiten an der Anlage in Wahrheit geschlossen waren – ohne dass uns dies angezeigt wurde. Somit kann unser Modell auch zur Erkennung von Unregelmäßigkeiten eingesetzt werden“, unterstreicht Pandelaere.
08/07/2021