Gehen Sie direkt zum Inhalt der Seite Gehen Sie zur Hauptnavigation Gehen Sie zur Forschung

Auf Grundlage einer so genannten „Industrieausbildungsvereinbarung durch Forschung (Cifre)“ können französische Unternehmen drei Jahre lang Doktorand:innen beschäftigen. Das hat zahlreiche Vorteile. Interview mit Mouloud Iferroudjene, Doktorand am Labor für Systeminformatik, -modelierung und -optimierung, und seinem Ansprechpartner im Unternehmen, Thierry Laveille, Head of Product Management und zuständig für Forschung und Innovation bei Courbon Software, einer Business Unit von VINCI Energies.

Warum hat Courbon Software einen Doktoranden eingestellt?

Thierry Laveille. Wir entwickeln innovative Software für industrielle Produktionsprozesse in verschiedenen Branchen, Pharma, Nahrungsmittel, Baustoffchemie, verarbeitende Industrie, Intralogistik usw. Wir wollen das Thema künstliche Intelligenz vertiefen. Wir nutzen sie bereits intensiv in unseren Modellen, sind jedoch überzeugt, dass sie einen wesentlichen Innovationsschwerpunkt und eine Stellschraube für die Wettbewerbsfähigkeit darstellt, sowohl bei unseren Industriekund:innen als auch bei uns selbst. Es handelt sich also um ein strategisches Feld, das wir bearbeiten müssen.

Mouloud Iferroudjene, warum wollten Sie Ihre Doktorarbeit in einem Unternehmen schreiben?

Mouloud Iferroudjene. In einem Unternehmen zu promovieren ist sicher nicht die gängigste Option, zumal, wenn es um industrielle Anwendungen geht. Ich bin von Hause aus sowohl Ingenieur als auch Wissenschaftler und sehe meine Zukunft wirklich in der Industrie. Meine Doktorarbeit in einem Unternehmen zu schreiben hat für mich den Vorteil, dass ich unter realen Bedingungen forschen und konkrete, unmittelbare Anwendungsmöglichkeiten entwickeln kann. Ich sehe sozusagen den Nutzen meiner Arbeit. Das finde ich nicht nur interessant, sondern auch motivierend.

Wie haben Sie zueinander gefunden?

Thierry Laveille. Wir sitzen in Saint-Etienne in Zentralfrankreich. Dementsprechend haben wir uns auch an die hiesige Ecole des Mines (Bergakademie) gewandt, genauer an das Labor für Systeminformatik, -modellierung und -optimierung (LIMOS), eine Forschungseinrichtung unter dem Dach der Hochschule. Wir haben lange gebraucht, um gemeinsam ein Thema für die Doktorarbeit zu finden und genau zu umreißen. KI ist ein weites Feld. Wir mussten ein Thema definieren, das sowohl im Interesse des Labors als auch von Courbon Software lag. Wir wollten unseren Kund:innen erklären können, was ihnen die KI konkret bringen kann. Deshalb schien es uns sinnvoll, an der Erklärbarkeit von Modellen für maschinelles Lernen in industriellen Anwendungen zu arbeiten, etwa Fehlererkennung, prädiktive Instandhaltung oder Optimierung von Produktionslinien. Mouloud fand das Thema sehr interessant und war gerne bereit, drei Jahre bei und mit uns zu arbeiten.

„Unseren Kund:innen erklären, was ihnen die KI konkret bringt.”

Mouloud Iferroudjene. Ich beschäftige mich mit der Frage, wie Expertenwissen in Formeln, Regeln und Modelle, also in strukturierte Daten, übersetzt und in die KI integriert werden kann. Der genaue Titel meiner Doktorarbeit lautet „Der Beitrag von Fachwissen zum maschinellen Lernen: Integration von formalem Wissen in das Deep Learning für die Industrie 4.0“.

Welchen Beitrag kann das maschinelle Lernen zur Industrie 4.0 leisten?

Mouloud Iferroudjene. Moderne Industriesysteme erzeugen riesige Datenmengen, die beim maschinellen Lernen besser genutzt werden könnten. Deep Learning zeichnet sich hier durch hervorragende Ergebnisse aus, sowohl bei Rohdaten als auch bei Bildern. Daten aus der Industrie sind sehr heterogen – es gibt digitale Daten, Zeitdaten, strukturierte Daten usw. Das erfordert eine komplexe Vorverarbeitung. Durch die Einbeziehung formalisierter Fachkenntnisse möchte ich diese unterschiedlichen Daten besser nutzen können und die Modelle gleichzeitig interpretierbarer machen. Das ist insbesondere bei kritischen Industriesystemen von entscheidender Bedeutung. Ich möchte ein generisches Verfahren entwickeln, um dieses formale Wissen in mindestens zwei unterschiedliche Lernaufgaben in den Bereichen Nahrungsmittelindustrie und Pharma zu integrieren. Dabei stütze ich mich auf die Daten und das Know-how von Courbon Software und des Labors der Ecole des Mines Saint-Etienne.

Ist eine Cifre-Forschungsvereinbarung leicht zu implementieren?

Thierry Laveille. Es ist zunächst einmal viel Papierkram! Zum Glück hat uns unsere Personalabteilung einiges davon abgenommen. Ansonsten ist es wichtig, mit dem Labor eine gute gemeinsame Grundlage für die Zusammenarbeit zu finden. Es geht hier ganz klar um einen partnerschaftlichen Forschungsansatz. Dank der Cifre-Vereinbarung bekommt das Unternehmen eine Beihilfe für die Einstellung einer Doktorandin oder eines Doktoranden, die bzw. der unter Aufsicht eines öffentlichen Forschungsinstituts eine Doktorarbeit schreibt.

Welche Vorteile hat das?

Thierry Laveille. Das hat gleich drei Vorteile. Das Unternehmen bekommt leistungsfähiges Personal und sichert seine F&E ab. Schließlich befeuert dieser Ansatz den Innovationsprozess in der Firma. Eine Doktorarbeit ist eine Wette auf die Zukunft. Wir erwarten von dieser Arbeit ganz klar einen Return on Investment. Das Forschungsinstitut kann über den Cifre-Ansatz seine Studierenden mit der Berufswelt in Kontakt bringen, die geleistete wissenschaftliche Arbeit findet potentiell eine konkrete, wertvolle Anwendung. Last but not least promoviert die/der Doktorand:in in einem Umfeld, das auf eine spätere Berufslaufbahn vorbereitet und somit die Beschäftigungsfähigkeit steigert.

Mouloud Iferroudjene. Ich möchte, dass Courbon Software substantielle Vorteile aus meiner Arbeit ziehen kann. Ich stehe am Ende meines zweiten Promotionsjahres und weiß noch nicht genau, was ich danach mache, aber ich bin mir sicher, dass ich ohne Probleme eine passende Stelle finden werde. Drei Jahre in einer Business Unit einer großen Gruppe wie VINCI Energies zu arbeiten, hat mich bereits jetzt mit vielen Menschen in Kontakt gebracht und für eine fruchtbare Zusammenarbeit gesorgt. Ich sehe meine Zukunft ganz klar in der Industrie. Ich bin überzeugt, dass der Schlüssel zu einer KI-getriebenen industriellen Revolution in der harmonischen Verschmelzung von Rohdaten und Fachkenntnissen liegt.

 

13/06/2024

Weitere Infos:
Schau das Video