Ob zu Hause oder am Arbeitsplatz – 85 % unserer Lebenszeit atmen wir Raumluft, die häufig mit vielerlei Schadstoffen belastet ist. Eine Herausforderung für die Volksgesundheit, der sich die Immobilienbranche zunehmend annimmt.
In Frankreich ist die Messung der Raumluftqualität in Kindergärten, Schulen und Jugendzentren bereits seit einiger Zeit gesetzlich vorgeschrieben. Ab dem 01.01.2023 wird die Messpflicht auf alle Einrichtungen mit Publikumsverkehr ausgedehnt.
Die Luft, die wir in geschlossenen Räumen atmen, wird also zu einem echten gesundheitspolitischen Thema. „Etwa 85 % unserer Lebenszeit verbringen wir in Innenräumen. So etwas hat es in der Menschheitsgeschichte noch nie zuvor gegeben“, so Chloé Voisin Bormuth, Studien- und Forschungsdirektorin der Denkfabrik „Fabrique de la Cité“.
Die ersten Messungen der Raumluftqualität fanden in den 1960er Jahren statt. Damals ging es den Gesundheitsbehörden nur um einen einzigen Feind: Tabakrauch. 1977 zeigte eine britische Studie die schädlichen Auswirkungen von Stickoxiden aus Gasherden und -öfen. Ende der 1970er Jahre und Anfang des folgenden Jahrzehnts ging es um den Nachweis von Radon, das seit 1987 als krebserregend eingestuft ist.
In bewohnten Gebäuden ist die Luft um den Faktor 5 bis 8 schlechter als im Außenbereich
Seitdem hat die Forschung Fortschritte gemacht, und die Umweltvorschriften fokussieren sich heutzutage auf Feinstaub (PM), flüchtige organische Verbindungen (COV), Radon, Asbest, Kohlenstoff, Blei oder Ozon. Studien haben nachgewiesen, dass die Luft in bewohnten Gebäuden um den Faktor fünf bis acht schlechter ist als im Außenbereich.
„Sick-Building-Syndrom“
„Durch das Aufkommen neuer Baustoffe und Dekomaterialien (Bodenbelag, Kleber, Farben, Möbel usw.) erhöhte sich diese Belastung, sowohl in Wohn- als auch in Dienstleistungsgebäuden“, erläutert Pierre Blanchet, Leiter Innovationen Building Solutions bei VINCI Energies.
Die gesundheitlichen Auswirkungen der vielen neurotoxischen, krebserregenden oder den Hormonhaushalt beeinflussenden Schadstoffe in Dienstleistungsgebäuden sind heute gut dokumentiert. Kopfschmerzen, Hautreizungen, Reizungen der Nasen- oder Augenschleimhäute sowie der Atemwege, Unwohlsein, Schwindel, Konzentrationsprobleme, Müdigkeit usw.
Alles Symptome des so genannten „Sick-Building-Syndroms“ (SBS). Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnte ein Drittel aller Gebäude in den Industrieländern SBS verursachen.
Schon in der Bauphase
Die Belastung der Außenluft, die Aktivitäten der Gebäudenutzer, Management, Instandhaltung, Renovierung der Gebäude sind natürlich wesentliche Faktoren für die Raumluftqualität. Aber auch die Baufirmen können Einiges tun, um bereits in der Bauphase für eine geringere Belastung der zukünftigen Nutzer zu sorgen.
Das von der französischen Forschungsagentur ADEME im Rahmen des Programms CORTEA 2015 geförderte Projekt ICHAQAI zur Ermittlung der Auswirkungen der Bauphase auf die Raumluftqualität wurde von Wissenschaftlern der französischen Hochschule für Volksgesundheit und von Baufachleuten durchgeführt und hat gezeigt, welche Effekte hier tatsächlich erzielt werden können.
„Durch die Messung der chemischen Schadstoffe, der Feinstäube und der Schimmelpilzbelastung auf Neubaustellen konnte nachgewiesen werden, dass die Hauptquellen von flüchtigen organischen Stoffen Produkte sind, deren Einsatz als nebensächlich betrachtet wird: Farben und Lacke sowie Reinigungsmittel, die nach Abschluss der Bauarbeiten zum Einsatz kommen“, bemerkt Blanchet. Weitere Messungen zeigten, dass während des Innenausbaus die Luftfeuchte in die Höhe schnellt.
Trockung und vorbeugende Lüftung
Hauptziel muss sein, die Feuchtigkeit in den Griff zu bekommen – zumal Beton ja Wasser enthält. So wird der Entwicklung von Schimmelpilzen vorgebeugt, die erhebliche Mengen von Reizstoffen und Allergenen produzieren. Außerdem verschlechtert Feuchtigkeit die Wärmebilanz des Gebäudes, Holz verzieht sich, Wand- und Bodenbeläge lösen sich ab.
Dazu müssen die Trocknungszeiten von Baumaterialien wie etwa Klebern eingehalten werden. Hilfreich ist es aber auch, zu lüften oder ein Ventilationssystem einzubauen. In kritischen Bauphasen und vor dem Einzug der Gebäudenutzer können mobile Gebläse aufgestellt werden.
Nach und nach setzen die Baufirmen bestimmte Maßnahmen auf ihren Baustellen um. Aber wenn man die Frage der Raumluftqualität ganzheitlich betrachtet und Bau, Sanierung und Bewirtschaftung mit einbezieht, stehen wir am Anfang eines langen Weges.
„Die Raumluftqualität steht in der Gesundheitspolitik nach wie vor hintan. Interessanterweise spricht man bei der Außenluft von „Verschmutzung“ oder „Belastung“, weil man auf das Problem hinweisen und die Öffentlichkeit mobilisieren will, bei der Raumluft aber von „Qualität“. Die Raumluftqualität ist heute noch zu sehr eine Frage des persönlichen Verhaltens (was kann ich selbst tun): Wie steht es aber um eher politische Fragen, etwa im Bereich Industriepolitik, räumliche Gerechtigkeit oder Sozialnormen?“, so Chloé Voisin Bormuth von „La Fabrique de la Cité“.
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Innovationen auf allen Etagen
Zahlreiche Unternehmen haben Dienstleistungen oder Technologien zur Verbesserung der Raumluftqualität entwickelt.
AirCool (Air Liquide). Schlüsselfertige Lösung zur Lieferung gereinigter Luft für Dienstleistungsgebäude in der Industrie. AirCool wird an neue oder bestehende KHL-Systeme (Klima, Heizung, Lüftung) angeschlossen und reinigt zentral die im Gebäude zirkulierende Luft. Das Modell beruht auf Sensoren, die über ein Cloud-Interface die Luftqualität kompletter Immobilienparks fernüberwachen.
Healthbox Hygro (Renson). Healthbox Hygro ist ein über die Luftfeuchte gesteuertes Zwangslüftungssystem, das innerhalb von 15 Minuten die Abluft-Volumenströme anpasst. Die Technik zur Regelung der Volumenströme ist nicht an den Ablufteinlässen installiert, sondern an den elektronischen Regelklappen in der Nähe der Zentraleinheit. Sie können mit Sensoren für Feuchte, CO2 oder flüchtige organische Substanzen ausgestattet werden.
Label’Onip Clean’R (Onip). Label’Onip Clean’R sind Farben mit luftreinigenden Eigenschaften. Sie entziehen der Raumluft Formaldehydmoleküle und bauen sie ab. Sie tragen das europäische Umweltzeichen und sind aufgrund ihrer Wirkungsweise außerdem bakterienhemmend.
ZAACK QA (ZAACK). ZAACK QA nutzt IOT, Deep Learning und KI zur kontinuierlichen Echtzeitüberwachung der Luftqualität. Das System empfiehlt die Einrichtung von Luftmessstationen, die Umsetzung von Korrekturmaßnahmen und sagt die Entwicklung der Luftqualität voraus, um darauf aufbauend einer Verschlechterung vorzubeugen.
GreenFloor (VINCI Energies). Hygienische Luft aus der Belüftungsanlage zur Optimierung der thermischen Inertieeffekte: so lautet das Grundprinzip von Greenfloor, einer von VINCI Energies entwickelten Kühldecke. Die als Wärmeträger verwendete Luft kühlt oder erwärmt die Betondecke, die als Strahlungsheizung konzipiert ist. Auch wenn das System hauptsächlich das Ziel verfolgt, die ansonsten in abgehängten Decken installierten Kanäle und Auslässe zu integrieren und somit einige Zentimeter Raumhöhe zu gewinnen, sorgt es durch Volumenströme oberhalb des gesetzlichen Minimums von 25 m3/h auch für eine energetische Verbesserung und höhere Luftqualität.
12/03/2020