Khaled Igué studierte in seinem Heimatland Benin, aber auch in Ghana, Frankreich und den USA. Heute ist er Direktor für öffentliche und institutionelle Partnerschaften von OCP Africa, einer Tochtergesellschaft des marokkanischen und weltweit größten Phosphatherstellers OCP. Er leitet außerdem den Think-Tank „Club 2030 Afrique“. Für diesen Akteur und Beobachter der Entwicklung Afrikas braucht der Kontinent eine ehrgeizige Energiepolitik, um seine Wirtschaft anzukurbeln.
Wie gestaltet sich derzeit der Zugang zu Energie in Afrika, insbesondere im Maghreb und im Westen des Kontinents?
Bezogen auf ganz Afrika verzeichnen mehr als die Hälfte der 54 afrikanischen Staaten noch immer einen Elektrifizierungsgrad unter 20 %. Besonders niedrig ist diese Quote in der Zentralafrikanischen Republik (3 %), im Tschad (4 %), in der Demokratischen Republik Kongo (9 %), während Südafrika bei 85 % liegt. Geographisch gesehen erreicht Nordafrika einen Elektrifizierungsgrad von 99 %, das Afrika südlich der Sahara verzeichnet nur 32 %, während ländliche Gebiete lediglich 14 % erzielen. Nur 42 % aller Afrikaner haben Zugang zu elektrischem Strom, in entwickelten Ländern sind es 75 %.
Nur mit einer funktionierenden Stromversorgung kann sich der afrikanische Kontinent aus der Armut befreien.
Der Kontinent leidet auch unter starken Gegensätzen: 30 % der afrikanischen Bevölkerung lebt in Nord- oder Südafrika, aber diese beiden Regionen verbrauchen zusammen 80 % der Energie auf dem Kontinent (ohne Biomasse).
Außerdem ist die in Afrika erzeugte Energie sehr teuer: Eine Kilowattstunde kostet einen afrikanischen Verbraucher bis zu 4 Euro, in Europa sind es im Mittel 0,15 Euro. Und obwohl Kohle negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit hat, wird im südlichen Afrika etwa 60 % des Verbrauchs mit diesem Energieträger gedeckt, hauptsächlich zum Kochen und Heizen.
Welche Energieformen sollte man besonders fördern?
Kurzfristig wird es nicht möglich sein, auf Brennholz zu verzichten, denn auf dem Land ist das häufig der einzige vorhandene Energieträger. Deshalb ist es dringend erforderlich, auf die massive Einführung effizienterer Herde zu setzen. Das ist eine einfache, kostengünstige Maßnahme, die aber selten umgesetzt wird.
Die Unternehmen sollten anders an die Sache herangehen und stärker auf die Chancen als auf die Risiken schauen.
Zur Förderung der Elektrifizierung ländlicher Gebiete wäre die dezentrale Stromerzeugung ohne Netzanschluss oder mit Kleinstnetzen eine Lösung. Hierfür kommen Photovoltaik, Kleinwasserkraftwerke oder Biogasanlagen in Frage.
Aber die Schwierigkeiten sind enorm: Es gibt technische, politische und finanzielle Probleme. Andererseits sind die Entwicklung der Stromversorgung ärmerer Bevölkerungsschichten und der Ausbau von zentralen Produktionsinfrastrukturen immer noch teuer und kompliziert in der Umsetzung.
Der Bau großer Wasserkraftwerke wie dem Inga-Komplex in der Demokratischen Republik Kongo ist Teil der geplanten Lösungen. Dieses Land hat beträchtliches Potenzial und könnte quasi den kompletten Energiebedarf in Subsahara-Afrika abdecken. Die erzeugte Energie wäre deutlich kostengünstiger als die meisten anderen Energieträger. Aber die Investitionen kommen nicht hinterher. Aktuell produzieren die beiden ersten Staudämme des Inga-Komplexes nur 700 MW, denn zwei Drittel der Turbinen sind mangels Wartung nicht betriebsbereit.
Welche Länder fungieren derzeit als Schrittmacher bei diesen Themen?
Bei erneuerbaren Energien ist Marokko weiterhin der Motor. Der Verwaltungsrat der Afrikanischen Bank für Entwicklung hat am 03.12.2014 zwei Darlehen für den zweiten Bauabschnitt des Solarkomplexes Ouarzazate genehmigt (Kraftwerke NOORo 2 und NOORo 3). Das erste Darlehen über 100 Mio. Euro kommt aus Eigenmitteln der Bank, das zweite über 119 Mio. USD kommt vom Clean Technology Fund (Bestandteil der Klima-Investitionsfonds – CIF) in seiner Funktion als ausführendes Organ.
Der zweite Bauabschnitt dieses Solarprojekts beinhaltet den Bau von zwei neuen Kraftwerken mit einer Gesamtleistung von ca. 350 MW und einer Jahresproduktion von durchschnittlich über 1.100 GWh. Das Projekt gehört zum marokkanischen Solarprogramm (dem so genannten „NOOR-Programm“), das bis 2020 eine Mindestleistung von 2.000 MW vorsieht.
Ziel ist die Verbesserung der Versorgungssicherheit von Privathaushalten und Industrie, denn der Primärenergieverbrauch Marokkos hängt derzeit zu 95 % von Lieferungen aus dem Ausland ab. Zwischen 2002 und 2012 ist der Stromverbrauch des Landes im Mittel um 7,2 % gestiegen.
Vorhersagen zufolge soll sich bis 2030 der Primärenergieverbrauch Marokkos verdreifachen, der Stromverbrauch gar vervierfachen. Deshalb ist Versorgungssicherheit ein vorrangiges Ziel der neuen Energiestrategie 2010-2030. Sie setzt nachdrücklich auf die Diversifizierung der Produktionsquellen und die Nutzung von erneuerbaren Energieträgern – deren Anteil an der Stromerzeugung soll bis 2020 auf 42 % steigen.
Welche Bedeutung haben die Staaten bei diesen Vorhaben und welche Rolle sollten die Initiativen der Privatwirtschaft einnehmen?
Immer mehr afrikanische Regierungen fordern die Privatwirtschaft zur Beteiligung an einer umfassenden Politik zum Ausbau der Energie-Infrastrukturen auf. Diese Zusammenarbeit nimmt meist die Form von öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) an.
Es gibt keine allgemeine, verbindliche Definition einer solchen Partnerschaft, sondern der Begriff wird für unterschiedlichste Vorhaben verwendet, bei der es zu einer gewissen Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft kommt. PPP-Projekte dürfen aber nicht mit Privatisierung verwechselt werden: Bei einem PPP ist die öffentliche Hand gegenüber den Bürgern weiter für die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge verantwortlich, während diese Verantwortung im Falle einer Privatisierung auf den privaten Partner übergeht.
Eine öffentlich-private Partnerschaft ist finanziell vorteilhaft: Die notwendigen Investitionen können mit privatem Kapital getätigt werden, das somit unzureichende öffentliche Haushaltsmittel oder Darlehen von Geldgebern ergänzt. Aber die Vorteile von PPP-Projekten sind nicht nur finanzieller Natur. Die Aufteilung der langfristigen Risiken zwischen Staat und privatem Partner fördert eine rationellere Ressourcennutzung. Ein weiterer Vorteil ist die Existenz von Leistungspönalen, wenn bei der Übertragung der Infrastrukturen am Ende der Projektphase bestimmte Kriterien nicht eingehalten werden. Sie sind ein Anreiz für den privaten Anbieter, auf ordnungsgemäße Wartung und Instandhaltung zu achten.
Spielen französische und/oder europäische Unternehmen hier eine besondere Rolle?
Manche französischen Unternehmen, etwa VINCI Energies, haben sehr schnell verstanden, dass sie sich in Afrika kundennah aufstellen müssen und eine echte Langzeitstrategie für den Kontinent brauchen. Aber viel bleibt noch zu tun, denn die französischen Firmen haben im frankophonen Afrika den Vorteil der Sprache – immerhin ein Markt mit knapp 300 Mio. Einwohnern. Die Unternehmen sollten anders an die Sache herangehen und stärker auf die Chancen als auf die Risiken schauen. Viele Firmen haben Befürchtungen hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit. Diese sind jedoch unbegründet, denn ein Gutteil der Afrikaner nutzen derzeit teure, veraltete Energielösungen. Neben dem Markt stellt sich die Frage der Verbrauchsphilosophie. Die Unternehmen müssen sich auch an die unterschiedlichen Verbrauchsgewohnheiten der Bevölkerung vor Ort anpassen. Um nur ein Beispiel zu nennen : Wir haben gesehen, wie Zwischenstromzähler und Mobile Money das System zur Bezahlung der Stromrechnungen revolutioniert haben.
Wie passt die Elektrifizierung von Afrika zu einem umfassenderen Programm zur kontrollierten Entwicklung des Kontinents?
Die afrikanische Frage ist nicht einfach. Mit Ausnahme von Südafrika stößt der Kontinent heute nur wenig Klimagase aus (weniger als 3,8 % der weltweiten Emissionen). Gleichzeitig ist er dem Klimawandel stark ausgesetzt. Und um seine Wirtschaftsentwicklung anzukurbeln, braucht Afrika eine ehrgeizige Energiepolitik. Ohne Energie entwickelt sich weder Landwirtschaft noch Industrie und Technik. Der Zugang zu elektrischem Strom ist unabdingbar, um den afrikanischen Kontinent aus der Armut zu holen und eine Verbesserung der Gesundheits- und Bildungsinfrastrukturen zu ermöglichen.
Wie kann vermieden werden, dass anders als in China oder Indien der industrielle Aufschwung in Afrika zum massiven Verbrauch von fossiler Energie führt?
Die afrikanischen Länder haben verschiedene Alternativen, um mehr saubere Energie zu produzieren und so gegen die Armut zu kämpfen. Der verbesserte Zugang zu elektrischem Strom durch Zwischenzähler ist eine erste Möglichkeit. Diese Zähler tragen zu einem effizienten Verbrauchsverhalten bei und vereinfachen die Abgabenerhebung. In mehreren Ländern, etwa Benin, gibt es sie bereits. Außerdem können die Regierungen bei den Banken für Darlehen bürgen, die in die Produktion sauberer, erneuerbarer Energien investiert werden sollen; man kann Importzölle und Produktionssteuern auf erneuerbare Energiesysteme abschaffen, die Verfügbarkeit von Finanzierungen für erneuerbare Energien verbessern, etwa über Mikrokredit-Programme, damit auch arme Menschen PV-Paneele oder Solarlampen kaufen können. Last but not least sollte der Green Climate Fund weltweit für grüne Energieprojekte zur Verfügung stehen, welche die Energiearmut in Afrika lindern können.
18/04/2017