Ab 2030 sollen im Hafen liegende Schiffe systematisch mit Landstrom versorgt werden, was einen signifikanten Rückgang der Treibhausgasemissionen zur Folge haben wird. Onshore Power Supply ist eine umweltfreundlichere Stromversorgungslösung. In ganz Europa arbeiten zahlreiche Business Units in diese Richtung.
Wenn Schiffe im Hafen festgemacht haben, nutzen sie üblicherweise ihre Diesel-Hilfsmotoren zur Stromerzeugung. Das führt nicht nur zu Lärm- und Geruchsbelästigungen, sondern stößt auch erhebliche Treibhausgasmengen aus. Und weil 74 % der europäischen Exporte über den Seeweg transportiert werden, sind die Umweltauswirkungen beträchtlich. Deshalb bestimmt eine europäische Verordnung: „Ab dem 1. Januar 2030 muss ein Schiff am Liegeplatz in einem Anlaufhafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats an die landseitige Stromversorgung angeschlossen sein und daraus seinen gesamten Energiebedarf am Liegeplatz decken.“
Die Landstromversorgung, auch als „Onshore Power Supply“ (OPS) bezeichnet, versorgt die Schiffe mit Strom aus dem lokalen Stromnetz, so dass der Bordgenerator ausgeschaltet bleibt. Das ist natürlich noch umweltfreundlicher, wenn das lokale Netz grünen Strom liefert.
„Wir planen, bauen und montieren maßgeschneiderte OPS-Systeme. Sie sind kompakt und können einfach vom Schiff aus bedient werden.”
Technisch besteht ein OPS-System aus einer Trafostation, die Netzstrom umspannt und weiterverteilt, einem Frequenzumformer, weil Schiffe mit 60 Hz betrieben werden, Systeme an Land jedoch mit 50 Hz, und einem Kabelmanagementsystem (CMS), das die Verbindung zwischen Land und Schiff herstellt.
Mit einer solchen Anlage können die Emissionen bei CO2 um etwa 70 % reduziert werden, bei NOx (Stickoxid) sind es 95 %, bei SOx (Schwefeloxid) 30 %. Die Vorteile solcher Anlagen für die Beschleunigung der ökologischen Wende liegen also auf der Hand.
Zahlreiche Projekte in Spanien
Über ihre Marke Actemium und insbesondere ihre schwedischen Business Units, die Vorreiter in diesem Bereich sind (siehe Kasten), entwickelt VINCI Energies diese Technik seit gut zehn Jahren in mehreren europäischen Ländern. In Spanien, wo 2022 119.200 Schiffe anlegten, engagieren sich die Hafenbehörden aktiv für die Elektrifizierung der Kaianlagen.
„In einigen Fällen sind die Projekte bereits weit fortgeschritten, etwa in Barcelona und Alicante, oder schon abgeschlossen, etwa in Palma de Mallorca. An anderen Standorten werden gerade Bauvorhaben submissioniert, etwa in Huelva, Bahía de Algeciras oder Bilbao. Und es gibt Stellen, etwa die Hafenbehörde von Malaga oder der Hafen von Castellón, wo derzeit eine Machbarkeitsstudie läuft“, zählt Alejandro García auf, Leiter Wasserstoff und Häfen bei VINCI Energies Spanien und Fachmann für OPS-Systeme. Langfristig sind alle spanischen Häfen betroffen, angefangen bei den 46 staatlich verwalteten, öffentlichen Häfen.
Pionier Rotterdam
Der am weitesten fortgeschrittene europäische Hafen ist aber wohl Rotterdam in den Niederlanden. Der größte Hafenstandort Europas hat bereits mehrere Landstromprojekte abgeschlossen und will bis 2025 acht bis zehn weitere folgen lassen. In diesem Rahmen erhielt Actemium Niederlande im Oktober 2022 den Zuschlag für einen EPC-Auftrag (Engineering, Procurement and Construction) zur Errichtung einer OPS-Lösung am DFDS-Terminal Vlaardingen. Das System hat eine Leistung von 1,8 MW – ausreichend zur Versorgung von knapp 1.500 Haushalten – und wird pro Jahr 3,5 GWh Strom liefern. Durch diese Investition dürften jährlich 2.100 Tonnen CO2 gespart werden.
„Große internationale Hochseeschiffe haben besondere Ansprüche an die Stromversorgung“, erläutert Johan de Goffau, Business Development Manager bei Actemium Netherlands. „Sie brauchen zwischen 500 und 2.000 kW, in etwa so viel wie ein kleiner Industriebetrieb.“ „Deshalb planen, bauen und montieren wir maßgeschneiderte OPS-Systeme. Sie sind kompakt und können einfach vom Schiff aus bedient werden. Ein OPS-System ist normalerweise in einem Container untergebracht und deshalb grundsätzlich mobil. Aber in der Praxis werden diese Container an einem bestimmten Ort fest installiert, nämlich dort, wo die Schiffe festmachen.”
Besondere Anforderungen
Die Business Unit von VINCI Energies musste besondere Anforderungen erfüllen. „Wir brauchten ein Gelenkarmsystem, um typunabhängig jedes beliebige Schiff anschließen zu können. Ein weiterer Knackpunkt ist die Durchführung der Tiefbauarbeiten, ohne den Hafenbetrieb zu stören. Hier berücksichtigen wir die Terminplanung des Kunden und der Reedereien“, merkt de Goffau an.
Actemium Netherlands kann auf Erfahrungen bei Planung und Realisierung von OPS-Systemen zurückgreifen, die im weltweiten Actemium-Netz vorhanden sind, insbesondere bei der schwedischen Tochtergesellschaft, und möchte die Technik in weiteren niederländischen und belgischen Häfen installieren: Amsterdam, Antwerpen, Gent, Terneuzen oder Vlissingen. „Actemium arbeitet viel in der Energiebranche und der petrochemischen Industrie. Deshalb verfügen wir über umfangreiche Erfahrungen bei Arbeiten in explosionsgefährdeten Umgebungen und halten hohe Sicherheitsstandards ein, wie sie etwa für Öltanker gelten“, ergänzt Johan de Goffau.
Actemium elektrifiziert Öltanker in ATEX-Bereichen des Hafens Göteborg
Im Jahr 2000 bekam der Hafen Göteborg als weltweit erster eine Landstromversorgung für die Schiffe. Bis Ende 2023 wird es in dem schwedischen Hafen eine weitere Weltpremiere geben, weil ab dann auch Öltanker in den ATEX-Bereichen an das Landstromnetz angeschlossen werden können. Eine technische Meisterleistung angesichts der hohen Sicherheitsstandards in solchen Gefahrenbereichen – schließlich transportieren die Tanker eine hochexplosive Fracht!
Actemium Schweden hatte bereits zuvor ein OPS-System am Ro-Ro-Terminal installiert, das auf den Transport von Autos spezialisiert ist, und übernahm dort Planung, Lieferung, Montage, Netzanbindung und Einregulierung des Systems. Bei dem jetzigen Projekt werden drei jeweils 6 Meter lange Container fest auf den Kais installiert.
Aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen handelt es sich um Spezialanfertigungen mit neuen technischen Lösungen. „Der Kabelaufroller befindet sich normalerweise außerhalb des Containers, liegt hier aber innen. So können potentiell explosionsfähige Gase nicht mit den Hochspannungsausrüstungen in Kontakt kommen, über die das Schiff versorgt wird. In den Anlagen herrscht Überdruck, die dazu erforderliche Luft wird aus Sicherheitsgründen mindestens 100 Meter vom Anschlusspunkt entfernt und somit außerhalb des ATEX-Bereichs angesaugt und regelmäßig ausgetauscht“, erläutert André Olofsson, Projektleiter OPS Solutions bei Actemium Schweden. Seit 2010 hat die VINCI Energies-Tochter bereits 24 OPS-Projekte umgesetzt, aber davon ist „die Baustelle in Göteborg wegen des ATEX-Bereichs und der Anschlusskabel technisch am komplexesten“, so Olofsson.
16/06/2023