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Die internationale Seeschifffahrt, eine Schlüsselbranche für die gesamte Weltwirtschaft, stößt genauso viele Schadstoffe aus wie der Luftverkehr oder ein Staat wie Deutschland. Angesichts des Klimanotstands setzt der Sektor auf die beschleunigte Indienststellung umweltfreundlicher Schiffe.

Bis 2050 erwartet die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) eine Verdopplung der auf dem Seeweg transportierten Güter. Keine gute Nachricht für unser Klima.

Die weltweite Seeschifffahrt ist nämlich bereits jetzt eine der emissionsträchtigsten Branchen und steht für 3 % des gesamten Treibhausgasausstoßes, genauso viel wie die gesamte Luftfahrt oder ein Staat wie Deutschland. Der Sektor verbraucht jährlich 400 Mio. Tonnen Treibstoff, davon 250 Mio. im Güterverkehr, der 80 % des weltweiten Warentransports ausmacht.

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Seeschifffahrt, auf Tonnenkilometer gerechnet, das bei weitem sauberste Verkehrsmittel ist.

Die Gesetzgebung schreibt aufgrund des Klimanotstands zunehmend umweltfreundliche Schiffe vor. So verabschiedete die Europäische Union im Juli 2023 die neue Verordnung „FuelEU Maritime“. Große Fracht- und Passagierschiffe werden dadurch ab Januar 2025 in die Klimastrategie des Maßnahmenpakets „Fit für 55“ der Kommission eingebunden.

„Die meisten notwendigen Technologien sind bereits verfügbar.”

Dieser Mitte 2021 veröffentlichte Text sieht bis 2030 eine Verringerung der europäischen Emissionen um mindestens 55 % gegenüber dem Niveau von 1990 vor; bis 2050 soll die Klimaneutralität erreicht sein.

Zu dieser Gesetzgebung kommt für alle Handels- oder Passagierschiffe über 5.000 Bruttoregistertonnen ein neuer Rahmen hinzu, der ab dem 01.01.2024 gilt: das CO2-Emissionshandelssystem der EU. Dabei werden die Abgaben auf nach Europa importierte Waren von den Emissionen der Reederei abhängig gemacht, so dass die Verbraucher:innen entsprechende Aufschläge zahlen müssen.

Doch die Politik zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs ist nicht auf Europa beschränkt. Am 7. Juli 2023 verabschiedeten die 175 IMO-Mitgliedstaaten die „IMO-Strategie 2023“ zur Senkung der Treibhausgasemissionen von Schiffen, mit schärferen Zielen zur Bekämpfung schädlicher Emissionen.

Diese Strategie bekräftigt das gemeinsame Ziel zur Erreichung einer Netto-Klimaneutralität des internationalen Seeverkehrs bis 2050, die Verpflichtung zur Einführung alternativer, klimaneutraler oder fast klimaneutraler Kraftstoffe bis 2030 und gibt indikative Etappenziele für die Jahre 2030 und 2040 vor.

Umfangreiche Investitionen

Aber nicht nur die Politik engagiert sich. Weil ihre Kund:innen zunehmend „klimaneutrale“ Schiffe fordern, verpflichteten sich fünf Reedereien (CMA CGM, MSC, Hapag-Lloyd, HMM und A.P. Moller-Maersk) im Dezember 2023 dazu, bis 2050 komplett CO2-frei zu fahren.

Die Charta namens „Engagements des acteurs publics et privés pour la décarbonation du transport maritime“ wurde auch von Frankreich, Dänemark sowie Südkorea unterzeichnet und ist ein Novum. Vorgestellt wurde die Initiative Ende 2023 bei der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai.

Begleitet wird diese Selbstverpflichtung von einem „zweiten Ziel“: Es soll unwiderruflich ein Stichtag festgelegt werden, ab dem alle neu gebauten Schiffe mit Übergangskraftstoffen angetrieben werden müssen. Neben Flüssigerdgas (LNG), das nicht als „grüner“ Kraftstoff gilt, will die Initiative Biogas und E-Methanol fördern, bis die Umstellung auf Wasserstoff oder Ammoniak möglich wird.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis 2050 für die Dekarbonisierung des Schiffsverkehrs jährlich zwischen 8 und 28 Mrd. Dollar (7 bis 26 Mrd. Euro) zusätzliche Kosten anfallen. Hinzu kommen 28 bis 90 Mrd. Dollar jährlich für die Hafen- und Energieinfrastruktur.

Der politische Wille ist da, die großen Reedereien müssen sich nun anpassen. Die Herausforderungen sind enorm, sowohl in technischer als auch finanzieller Hinsicht. Das sorgt für Bewegung auf einem Markt mit bereits sehr stark konzentrierten Akteur:innen. Aber der kundenseitige Druck könnte den Trend beschleunigen. Unternehmen wie Amazon, IKEA, Inditex, Michelin, Patagonia und Unilever haben sich 2021 in einem neuen Netzwerk namens „coZEV“ (Cargo Owners for Zero Emission Vessels)  zusammengeschlossen, das mit der NGO The Aspen Institute zusammenarbeitet. Ziel ist es, ab 2040 nur noch klimaneutrale Schiffe zu nutzen.

Häfen ebenfalls gefordert

Die Politik zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs betrifft jedoch nicht nur die Reedereien und deren Kund:innen. Die Elektrifizierung der Häfen wird ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Energiewende in diesem Sektor spielen, insbesondere bei Passagierschiffen, die länger im Hafen bleiben. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist hier die so genannte Landstromversorgung (OPS (Onshore Power Supply)), eine Lösung, die unter anderem von Actemium, der Industriemarke von VINCI Energies, angeboten wird.

Aber „weil für die Elektrifizierung der Häfen mehr Strom gebraucht wird, muss die örtliche Netzinfrastruktur ausgebaut werden“, bemerkt Bruno Nicolas, Markendirektor Actemium, der kürzlich Actemium Marine gegründet hat.

Auch die Binnenschifffahrt entgeht diesem Megatrend nicht. Ihre CO2-Bilanz ist drei- bis fünfmal besser als die des Straßenverkehrs – ein Vorteil, den sie ausspielen möchte. Die entsprechenden Anbieter:innen testen verschiedene Möglichkeiten zum Erreichen der Klimaneutralität. Dafür werden umfangreiche Mittel eingesetzt, sowohl zur Verbesserung der Umwelteffizienz und Senkung der Schadstoffemissionen der Schiffe (Elektro-, Hybrid-, Wasserstoffantrieb usw.) als auch zur Modernisierung der Wasserstraßen.

Das zeigt beispielsweise die Modernisierung der Kanalschleusen in Zentralfrankreich und im Burgund durch den öffentlich-rechtlichen Betreiber des französischen Wasserstraßennetzes VNF, in die auch VINCI Energies eingebunden ist, oder die Elektrifizierung der Pariser Ausflugsschiffe auf der Seine. Diese für eine erfolgreiche ökologische Wende unabdingbaren Maßnahmen stellen Frankreich, dem Land mit dem größten Wasserstraßennetz Europas, allerdings vor riesige Aufgaben.

Drei Lösungen, gewisse Einschränkungen

Ob See- oder Binnenschiff – es gibt drei Lösungen, um Schweröl als Treibstoff zu ersetzen, so Bruno Nicolas.

„Am einfachsten umzusetzen ist die betriebliche Optimierung:  Verbesserung von Routenplanung und Energiemanagement an Bord durch Digitalisierung, geringere Geschwindigkeiten usw.“, erläutert der Markendirektor von Actemium. „Eine zweite, technische Lösung wären effizienter konstruierte Schiffe mit geringerem Wasserwiderstand, moderneren Motoren, Assistenzsystemen. Und last but not least sind alternative Kraftstoffe (LNG, Biokraftstoffe, E-Fuels wie Wasserstoff, E-Methan, E-Methanol und Ammoniak für die Dekarbonisierung des Seeverkehrs unerlässlich.”

Allerdings gibt es bei diesen Kraftstoffen noch Unsicherheiten oder gar Einschränkungen, unterstreichen die Fachleute.

„Alle klimafreundlichen Kraftstoffe nutzen knappe Ressourcen, entweder Ökostrom oder Biomasse, und der Seeverkehr steht in starkem Wettbewerb zu anderen Sektoren, so dass die klimaneutral zu erwirtschaftende Leistung an Grenzen stößt“, so Nicolas Meunier, Abteilungsleiter Mobilität bei Carbone 4, eine Beratungsfirma für Energie- und Klimafragen. „Ein weiteres Hemmnis ist finanzieller Art“, fügt er hinzu. „Alle diesen neuen Lösungen führen zu erheblichen Mehrkosten, die an die Endnutzer:innen weitergegeben werden müssen.”

Es gibt keine Universallösung. Nur die Kombination aus verschiedenen Lösungen ermöglicht die Erreichung der angepeilten Ziele. „Gerade weil es so viele Initiativen gibt, erscheint das für 2050 ausgerufene Ziel erreichbar – zumal anders als in der Luftfahrt die meisten notwendigen Technologien bereits verfügbar sind“, so Nicolas abschließend.


„Binnenschifffahrt wettbewerbsfähiger als den Straßenverkehr machen“

Güter- und Personenverkehr findet auch auf der Wasserstraße statt. HAROPA PORT ist mit den Häfen von Le Havre, Rouen und Paris der größte Hafenbetreiber und das bedeutendste Logistikhub Frankreichs. Er spielt eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung der Branche. Christophe Gauthier, Hauptprojektleiter und Planungsleiter von HAROPA PORT mit Sitz in Le Havre, erläutert die Herausforderungen.

Vor welchen Herausforderungen steht die Binnenschifffahrt, um klimaneutral zu werden?

Christophe Gauthier. Die größte Herausforderung besteht im Ausbau dieses sehr leistungsfähigen Verkehrsträgers, der viermal weniger CO2 pro Tonnenkilometer ausstößt als der Straßenverkehr. Allein schon die Entlastung des Fernstraßennetzes würde zu einer wesentlich besseren Umweltbilanz des gesamten Verkehrssektors führen. Aber dafür muss das Binnenschiff wettbewerbsfähiger als der Lkw werden – in Bezug auf Kosten, Taktung und Zuverlässigkeit. Die letzte Meile wird üblicherweise ohnehin per Lkw zurückgelegt, so dass bei Nutzung der Wasserstraße umgeladen werden muss. Diese zusätzlichen Kosten müssen dann an anderer Stelle kompensiert werden. Es braucht daher eine leistungsfähige Logistikkette mit geeigneten Verbindungen und Infrastrukturen.

Wie sieht die Roadmap von HAROPA PORT in diesem Bereich aus?

C.G. Seit über einem Jahrzehnt arbeitet HAROPA PORT an der Verbesserung des Frachtverkehrs auf der Seine. Heute nehmen etwa 11 % der Containertransporte von oder nach Le Havre den Weg über den Fluss. Dabei sind die Binnenhäfen im Seine-Becken bei weitem nicht alle ausgelastet. Derzeit fertigen wir etwa 200.000 Container über unsere Häfen ab, aber die vorhandenen Infrastrukturen würden das Doppelte erlauben.

Welche Projekte stehen sinnbildlich für die Fortschritte bei HAROPA PORT?

C.G. Die bereits erfolgten und noch geplanten Ausbaumaßnahmen unseres Tiefwasser-Containerhafens Port 2000 stehen für die durchgeführten Verbesserungsmaßnahmen zur Förderung der Dekarbonisierung des Seeverkehrs. Seit 2010 dürfen entsprechend ausgestattete Binnenschiffe auf dem Seeweg den Port 2000 anlaufen, um dort Container zu laden. 2013 wurde ein multimodales System mit Eisenbahn-Shuttles in Betrieb genommen, das die Umladung der Container auf die Binnenschiffe optimiert. Und derzeit arbeiten wir an einem Ausbauprojekt, durch das alle Binnenschiffe direkt von der Binnenwasserstraße aus den Port 2000 anlaufen können. Die Bauarbeiten beginnen in diesem Jahr und sollen zwei bis drei Jahre dauern. Die Verkehre werden witterungsunabhängiger und kostengünstiger, weil Binnenschiffe aller Art den Hafen bei jedem Wetter anlaufen können, außerdem erhöhen sich die Transportkapazitäten. Darüber hinaus gibt es seit fünf bis sechs Jahren ein Managementsystem für den Binnenschiffsverkehr, und entlang des gesamten Flusslaufs wurden Stromtankstellen für Containerleichter installiert. Die Implementierung von etwa einhundert weiteren Ladesäulen läuft derzeit.


Wichtige Kennzahlen und Daten

3 %. Anteil des Seeverkehrs am weltweiten Treibhausgasausstoß.

400 Millionen. So viele Tonnen Treibstoff werden jährlich von der Branche verbraucht, davon 250 Mio. Tonnen für den Gütertransport.

80 %. Anteil des Seeverkehrs am weltweiten Warentransport.

2021. Gründung des „coZEV“-Netzwerks (Cargo Owners for Zero Emission Vessels).

Juli 2023. Verabschiedung der Verordnung „FuelEU Maritime“ durch die Europäische Union und der „IMO-Strategie 2023“

Dezember 2023. Fünf Reedereien verpflichten sich, den Seeverkehr bis 2050 vollständig klimaneutral zu machen.

Januar 2024. Europäisches CO2-Emissionshandelssystem.

 

16/04/2024