Wie bringt man die wachsende Mobilitätsnachfrage mit dem Ziel der Reduzierung von THG-Emissionen in Einklang? Ein massiver Zuwachs bei Elektrofahrzeugen, eine Beschleunigung der Verkehrsverlagerung, die Entwicklung multimodaler Beförderungsmöglichkeiten sowie die Zusammenarbeit der gesamten Branche wären hier erforderlich, so das Fazit einer von Mobility (VINCI Energies) am 8. Juni 2023 in den Räumen von Leonard:Paris, der Zukunftsforschungs- und Innovationsplattform des VINCI Konzerns, organisierten Debatte.
2021 stand Erdöl für 30,9% des weltweiten Primärenergieverbrauchs, vor Kohle (26,9%) und Erdgas (24,4%). Auf fossile Energieträger entfallen demnach über 82,2% des weltweiten Energieverbrauchs. Angesichts des Ausmaßes und der Kritizität der Umwelt- und Klimaprobleme kann es auf die Dauer allerdings nicht so weitergehen, das ist bekannt.
Zwar sind alle Wirtschaftsbereiche betroffen, aber die Verantwortung der Verkehrsinfrastruktur ist besonders frappierend. „Der Verkehrssektor ist das schwarze Schaf in Sachen CO2-Ausstoß“, so Alphonse Coulot, Fachreferent bei La Fabrique de la Cité. In Frankreich steht der Verkehr für 43% der CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Energieträgern. Das liegt deutlich über dem weltweiten (24%), europäischen (31%) und US-amerikanischen Mittel (37%).
Die Entwicklung seit dem Jahr 1960 zeigt eine stetige, durchgängige und parallele Steigerung von drei Variablen: Geschwindigkeit, Mobilitätsnachfrage und Emissionen. Und das bis zum Wendepunkt in den 2000er Jahren, wo die drei Kurven abflachen.
Die große, bis 2050 zu meisternde Herausforderung, so Coulot, liegt in der Entkopplung von Mobilitätsnachfrage (die weiter ansteigt) und Emissionskurve (die dramatisch sinken muss). „Die Nachfrage wird wachsen, gleichzeitig sinken die Emissionen. Das zeigt, dass mehr Energiesparen nicht unbedingt weniger Autofahren bedeutet“, meinte er.
Mehr Ladesäulen
Es werde also mehr Fahrten geben und insbesondere mehr Straßenverkehr, so Louis Du Pasquier, Leiter des ESCOTA-Konzessionsvertrages bei VINCI Autoroutes, und erläuterte, dass der Verkehrssektor der einzige Bereich sei, dessen Emissionen seit 1990 gestiegen sind. „Neun von zehn Fahrten finden heute auf der Straße statt, das gilt für Güter genauso wie für Personen. Deshalb ist die große Frage, wie wir einen klimaneutralen Straßenverkehr erreichen können.”
„Wir brauchen viel mehr Austausch zwischen allen Beteiligten.”
Louis Du Pasquier plädiert für einen massiven und koordinierten Einsatz von Elektrofahrzeugen. Und zwar eher Kleinwagen, damit keine großen, schweren Batterien gebraucht werden. Das würde aber heißen, dass die Fahrt alle zwei Stunden für eine 20- bis 30-minütige Ladepause unterbrochen werden muss. „Auf der Autobahn wird ohnehin ungefähr alle zwei Stunden Rast gemacht, dort könnte man also massiv auf Elektroantrieb umstellen, ohne unsere Gewohnheiten allzu stark zu ändern. Allerdings erfordert das deutlich mehr Ladesäulen“, unterstrich er.
Energiesparende Verkehrsinfrastrukturen setzen jedoch Veränderungen in der vorgelagerten Wertschöpfungskette voraus, nämlich beim Bau. Christophe Villard, Exekutivdirektor der Société du Grand Paris, die unter anderem mit dem Bau eines neuen S-Bahnrings um Paris betraut ist, unterstrich die Bedeutung der Lieferant:innen dieses riesigen Infrastrukturprojekts bei der Verringerung der CO2-Emissionen.
„Die Baustelle des Grand Paris Express produziert 4,4 Mio. Tonnen CO2“, führte er aus. „Wir wollen diese Menge um 25% reduzieren. Dafür nutzen wir unter anderem Faserbeton und klimafreundlichen Beton, der unsere Emissionen um bis zu 70% verringert. Außerdem produzieren wir 48 Mio. Tonnen Aushub, für die ebenfalls Recyclinglösungen entwickelt werden müssen.”
Mehr Austausch
Die Verlagerung von Verkehren von der Straße auf andere Verkehrsträger ist ein wichtiger Schwerpunkt bei der Dekarbonisierung in diesem Sektor. Könnte die belgische Region Wallonien hierzulande als Beispiel für die Infrastrukturindustrie dienen? 2018 startete die wallonische Regierung das FAST-Programm (Fluidity, Accessibility, Safety, modal Transport), das dafür sorgen soll, dass die mit dem Auto zurückgelegten Fahrten bis 2030 von heute 83% auf 60% sinken.
„Wir setzen auf Radwege für den Personenverkehr und Wasserstraßen für den Gütertransport. Vor kurzem haben wir eine Schleuse eingeweiht, die für Schiffe mit einem Fassungsvermögen von umgerechnet 550 Lkw befahrbar ist“, erläuterte Denis Cornet von der wallonischen Regionalverwaltung.
Cédric Kervella, Projektleiter beim Schienennetzbetreiber SNCF Réseau, betonte seinerseits die Bedeutung der Abstimmung sämtlicher Verkehrsträger, so dass die Nutzer:innen mehr Alternativen bekommen. Aber diese multimodale Vision gibt es derzeit nur in der Theorie. In der Praxis trifft sie noch immer auf zahlreiche Hindernisse.
„Hier gibt es insbesondere auf der kulturellen Ebene viel zu tun. Wir alle wollen in die gleiche Richtung, aber wir stehen noch ganz am Anfang des Weges und bewegen uns nur in kleinen Schritten vorwärts. Wir brauchen mehr Austausch zwischen allen Beteiligten. Nur so können wir Innovationen beschleunigen und unsere Methoden ändern“, warf er ein.
Virginie Willaert, Leiterin Klima CSR bei Egis Transport et Territoires, sieht das genauso. Sie unterstrich die kollektive, kooperative Dimension der Energiewende, die Bedeutung von Kooperationen und „der Einbindung sämtlicher Akteur:innen bei der Planung, Errichtung und Bewirtschaftung von Verkehrsinfrastrukturen“.
Märkte in der Verantwortung
Um Verkehrsinfrastrukturen klimafreundlicher zu gestalten, muss jedoch auch die wesentliche Rolle der Systeme bei der Beschleunigung, Skalierung und bei den langfristigen Auswirkungen der Energiewende berücksichtigt werden. Anders als Tiefbauinfrastrukturen, die beim Bau sehr viel Energie verbrauchen und Emissionen verursachen, ist der Verbrauch bei der Errichtung von Verkehrsinfrastrukturen vergleichsweise gering und solche Bauwerke haben eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten.
„Die Märkte müssen Modelle fördern, mit denen die Wirtschaft Verantwortung für den Systemverbrauch übernimmt. Dafür braucht es Bewertungskennzahlen, die in den ersten Betriebsmonaten von Verkehrsinfrastrukturen erfasst werden und zu Vertragsstrafen führen, wenn die zugesagten Werte nicht eingehalten werden“, unterstrich Virginie Willaert, denn in ihren Augen werden energiesparende Konzepte von den Märkten nicht ausreichend gefördert und belohnt.
Verkehrsverlagerung finanzieren
Allerdings müssen die entsprechenden Politiken, Infrastrukturen und Angebote auch finanziert werden. Alphonse Coulot berichtete diesbezüglich über Erfahrungen aus verschiedenen Großstädten. Aus dem norwegischen Oslo, wo die Elektromobilität gegenüber den meisten anderen nationalen Märkten zehn Jahre Vorsprung hat und wo man den ÖPNV durch Steuererhöhungen finanzieren möchte. Aus Hong Kong, wo Grundstücke mit höheren Abgaben belegt werden sollen, denn Platz ist knapp und teuer in der südostasiatischen Megacity. Aus Singapur, wo Autofahrer:innen pro Jahr mit 35.000 € zur Kasse gebeten werden und wo die Höhe der Stadtmaut vom Verkehrsaufkommen abhängt. Und schließlich aus Kopenhagen (Dänemark), wo das Fahrrad (das 62% der Stadtbewohner:innen tagtäglich nutzen) über die Kfz-Steuer finanziert werden soll, aber vielleicht auch… über eine (geringe) Fahrradabgabe.
14/09/2023