Welche Auswirkungen hat die ökologische Wende auf den Arbeitsmarkt?
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Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gibt in ihrem jüngsten OECD-Beschäftigungsausblick 2024: Transformation zur Treibhausgasneutralität und Arbeitsmarkt eine Reihe von Hinweisen zu diesem Thema. Langfristig geht die Institution von erheblichen Umbrüchen aus. Dazu einige Erläuterungen von Andrea Bassanini, Senior Economist bei der OECD und Chefautorin des Berichts.
Welche Sektoren werden am stärksten von der Transformation zur Treibhausgasneutralität betroffen sein?
Andrea Bassanini. Vom Ziel Null Nettoemissionen ab 2050 ist eine Reihe von besonders treibhausgasintensiven Sektoren noch sehr weit entfernt. Angefangen bei der Landwirtschaft, insbesondere der Viehzucht.
Auch Branchen, die stark von der Gewinnung und dem Verbrauch fossiler Brennstoffe abhängen, stehen selbstverständlich im Fokus. Das gilt insbesondere für die Schwerindustrie – Metall, Chemie, Papier usw. Wenn die Klimapolitiken wie geplant umgesetzt werden, gehen sämtliche Modelle für diese Sektoren bis 2030 von einem Arbeitsplatzabbau um durchschnittlich 14 % aus.
Alternativen und „grüne“ Lösungen für die Versorgung der Schwerindustrie – etwa die Umstellung von Öl- und Gaspipelines auf Wasserstoff oder die Entwicklung modularer Mini-Kernreaktoren (PMR) – sind noch nicht soweit zudem nicht an allen Standorten umsetzbar.
Welche anderen Branchen sind betroffen?
A.B. Zunächst einmal der Verkehr. Bleibt das Ziel Null Nettoemissionen ab 2050 unverändert bestehen, werden Flugverkehr und Seeschifffahrt stark unter Druck geraten, denn die derzeit angedachten Lösungen für einen erfolgreichen Technologiesprung in diese Richtung sind bisher rein hypothetisch.
Insbesondere in der Autoindustrie dürfte es durch die Umstellung auf Elektromobilität zu einem Arbeitsplatzabbau kommen, denn ein Elektroantrieb ist in der Herstellung weniger aufwändig als ein Verbrennungsmotor.
In anderen Branchen mit hohem Treibhausgasausstoß, etwa Bau und Recycling, dürfte die Arbeit hingegen nicht weniger werden, weil der Bedarf an Infrastrukturen und Abfallverwertung zunimmt.
Wie viele Mitarbeitende sind heute in treibhausgasintensiven Branchen beschäftigt?
A.B. Schwerindustrie, Bau, Verkehr, Bergbau und Landwirtschaft stoßen zusammen 90 % aller Treibhausgase aus, stehen aber für nur 7 % aller Arbeitsplätze.
Die sozialen Auswirkungen mögen demnach minimal scheinen. Das Problem besteht jedoch darin, dass sich dieser Beschäftigungsverlust auf einige wenige Sektoren und Regionen konzentriert, etwa Schlesien oder die alten Industrieregionen in den USA. Er verursacht also in Wahrheit hohe Kosten. Es ist schwierig, neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen zu schaffen, wenn ein ganzer Sektor untergeht. Die Beschäftigten in diesen Branchen sind zudem häufig stark gewerkschaftlich organisiert und werden recht gut bezahlt. Nach ihrer Entlassung müssen sie sich bei gleicher Qualifikation mit geringeren Einkommen zufriedengeben.
Umgekehrt wird in von der ökologischen Wende getragenen Tätigkeiten (etwa Ingenieur:innen für erneuerbare Energien, Fachleute für Logistik oder Aufforstung, aber auch Arbeitskräfte in der Baubranche und der Energieversorgung), die 20 % aller Arbeitsplätze ausmachen, die positive Auswirkung dieses Wandels nur marginal spürbar sein, weil sich die arbeitsmarktpolitischen Effekte auf viel mehr Branchen und Berufe verteilen.
Die von der ökologischen Wende getragenen Tätigkeiten machen 20 % aller Arbeitsplätze aus.
Kann der Schock für Arbeitskräfte in den am stärksten von der ökologischen Wende betroffenen Branchen durch Übergangs- und Umschulungsmaßnahmen abgemildert werden?
A.B. Solche Maßnahmen spielen eine zentrale Rolle. Qualifiziertes Personal muss bei der Umorientierung unterstützt werden, damit die Berufslaufbahn weitergehen kann. Das erfordert allerdings einen Bewusstseinswandel – öffentliche wie private Organisationen müssen sich bereits heute auf die Umschulungsmaßnahmen einstellen, die für die Erreichung der Klimaneutralität notwendig sind.
Bei ungelernten Arbeitskräften wird es noch schwieriger, denn sie brauchen spezifische Ausbildungsprogramme. In vielen Ländern liegen die jedoch in der Hand des Arbeitsministeriums, während die ökologische Wende vom Umweltministerium vorangetrieben wird. Deshalb hapert es oft an der Koordination.
Welche Rolle sollte die öffentliche Hand bei der beruflichen Umorientierung spielen?
A.B. Sie sollte mehr Anreize setzen. Vorstellbar sind Beihilfen zum Ausgleich des Einkommensverlusts nach dem Wechsel in umweltfreundlichere Sektoren. In den USA gibt es beispielsweise seit 1962 die RTAA (Re-Employment Trade Adjustment Assistance). 2009 wurde sie wiederaufgelegt, um die Effekte der Globalisierung abzufedern.
Das amerikanische Beispiel zeigt, dass die Kosten für derartige Maßnahmen schnell wieder eingespielt werden, weil der Staat weniger Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe zahlen muss und gleichzeitig mehr Steuern einnimmt. Der Bezug solcher Gelder sollte natürlich zeitlich begrenzt sein, denn irgendwann sind die Unternehmen am Zug und müssen die Löhne ihrer neuen Mitarbeitenden erhöhen.
Meinen Sie, dass die Länder ausreichend auf diesen Wandel im Arbeitsmarkt vorbereitet sind?
A.B. Sie verfügen über alle notwendigen Mittel, um auf diesen Umbruch zu reagieren. Sie kennen die Maßnahmen der öffentlichen Hand und wissen, was zur Erreichung der Maßnahmenziele zu tun ist. Allerdings sind dafür hohe Investitionen erforderlich. Was heute beschlossen wird, wirkt erst in zehn bis fünfzehn Jahren. Für den heutigen Politikbetrieb ist das eine sehr lange Zeitspanne. Die Kosten einer klimapolitischen Untätigkeit sind jedoch deutlich höher und langfristig sogar untragbar. Nüchtern betrachtet wäre es deutlich rentabler und wirtschaftlicher, die ökologische Wende beispielsweise durch Schulden zu finanzieren.
15/03/2025