Als Leiterin Innovationsstrategie des französischen Energieriesen EDF möchte die KI-Spezialistin eine Brücke zwischen den Ambitionen der Geschäftssparten und den vorhandenen technischen Lösungen schlagen. Eine kooperative Rolle, für die die ehemalige französische Meisterin in Mannschafts-Sportakrobatik ein hohes Maß an Agilität benötigt.
Innovative Dienstleistungen in der Schwerlastmobilität (Baufahrzeuge, Lkw usw.) oder die Unterstützung eines Start-ups wie ITK, das sich mit Modellierungs- und KI-Lösungen für die Landwirtschaft befasst – an diesen und vielen weiteren Projekten arbeitet Aude Vinzerich mit dem Ziel, die Entwicklung klimafreundlicher Lösungen zu beschleunigen. Die im Juli 2021 ernannte neue Leiterin Innovationsstrategie des EDF-Konzerns hat einen ziemlich vollen Terminplan.
Die im Januar 2022 festgelegte Innovationsstrategie des französischen Energieversorgers befasst sich mit 14 verschiedenen Themen in 6 Schwerpunktbereichen, die noch nicht veröffentlicht wurden. „Das EDF-Innovationsteam hat 50 Mitarbeitende. Deshalb kümmern wir uns lieber um weniger Themen, aber das umso intensiver“, so Vinzerich.
„Anhand von gesellschaftspolitischen Prognosen erkennen wir zukünftige Trendthemen, die Auswirkungen auf die großen Herausforderungen und Schwerpunkte des Konzerns haben können”
Einmal im Quartal kommt der Innovationsvorstand des Konzerns zusammen und entscheidet, welche Themen fortgeführt und welche neuen Projekte unterstützt werden. „Anhand von gesellschaftspolitischen Prognosen erkennen wir zukünftige Trendthemen, die Auswirkungen auf die großen Herausforderungen und Schwerpunkte des Konzerns haben können“, erläutert sie.
Technik und Nutzung miteinander verbinden?
Aude Vinzerich und ihr Team verfolgen ein doppeltes Ziel: Sie wollen herausfinden, welche Themen mittel- und langfristig für den Konzern von Bedeutung sind und gleichzeitig koordinierend eingreifen, um die ausgewählten Themen im Konzern fachlich voranzubringen und jedes Innovationsprojekt in geeigneter Weise zu fördern. Beim Thema Landwirtschaft wurden beispielsweise mehrere Mechanismen zur Innovationsförderung implementiert. EDF Pulse Design macht die Geschäftsfelder offener für neue Möglichkeiten, das Innovationsstrategie-Team bringt eine auf Innovationen ausgerichtete, strategische Vision der verschiedenen Bereiche der Landwirtschaft ein, und EDF Pulse Ventures verkörpert schließlich den Mechanismus, mit dem das Start-up ITK als mögliches Investitionsziel erkannt wurde.
Grundprinzip all dieser Projekte, deren Implementierung zwischen drei und zehn Jahre dauern kann, ist die enge Verzahnung von Technik und Nutzung. Die Verbindung von Wissenschaft und Verhaltensweisen ist im Übrigen auch eine Kernkompetenz von Aude Vinzerich. „Während des Studiums fiel es mir schwer, mich zwischen Mathematik und Humanwissenschaften zu entscheiden. Deshalb habe ich ein Doppelstudium absolviert: Linguistik, Logik und Informatik“, berichtet sie. „Ich brauche die tiefgründigen Überlegungen über das Wesen des Menschen in den Sprach- und Kognitionswissenschaften, aber auch einen Rahmen, um die Realität mittels Mathematik, Logik und Informatik auszutesten.“ Deshalb hat sie ihr Studium mit einer Doktorarbeit über künstliche Intelligenz und automatische Sprachverarbeitung abgeschlossen.
Vinzerich sieht sich mitnichten als „Geek“, sondern begreift die Technik als „Instrument im Dienste des Menschen“. Nach dem Studium steht sie vor der Wahl, in die öffentliche Forschung oder in die Wirtschaft zu gehen. Weil sie sich mit der Realität konfrontieren will, entschließt sie sich für den zweiten Weg.
„Angefangen habe ich bei einem IT-Consultant, Telys. Dort führte ich zahlreiche Aufträge in unterschiedlichsten Bereichen durch und konnte mir dabei überlegen, was ich wirklich wollte.“ So kommt sie unter anderem auch zur EDF und entdeckt den Energiesektor. „Dieser Sektor inspiriert mich, weil er in Beziehung zur Umwelt und zum Menschen steht, weil er von grundlegendem Nutzen ist, aber auch Ressourcenmanagement erfordert. Schließlich geht es um eine möglichst klimaneutrale Stromerzeugung. Nicht zuletzt konnte ich mich mit den humanitären Werten von EDF identifizieren.”
Agile Zusammenarbeit
Ende 2010 fing sie bei EDF an und kümmerte sich zunächst um das „Urlaubs“-Informationssystem des Betriebsrates. Schnell steigt sie im Konzern auf, wird IT-Consultant, managt das KI-Team des IT-Betreibers und wird schließlich KI-Programmleiterin. In ihrer neuen Funktion als Leiterin Innovationsstrategie hat sie nun eine Aufgabe, die ihr besonders am Herzen liegt: Sie schlägt eine Brücke zwischen den Ambitionen der Geschäftssparten, den Wünschen der Kund:innen und der Technik.
Diese von Kooperation geprägte Arbeit erfordert viel Agilität und zahlreiche Qualitäten: Risikobereitschaft, Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Fähigkeit zum Verlassen der Komfortzone, Entscheidungsfreudigkeit… Kompetenzen, die die ehemalige französische Meisterin in Mannschafts-Sportakrobatik während ihres gesamten Werdegangs entwickeln konnte und die sie weiterhin kultiviert: etwa durch ihr Engagement bei der Innovation Makers Alliance (IMA), der Zeitschrift ActuIA oder als JFD-Botschafterin bei den Margaret Awards für „Digital Women“.
Nicht zu vergessen ihre einjährige Weltreise mit der Familie, bei der sie mit ihren beiden fünf- und siebenjährigen Kindern über 1.500 km zu Fuß zurückgelegt hat. Dabei hat sie gelernt, sich anzupassen „und viele Dinge zu relativieren“. Herausforderungen machen Aude Vinzerich keine Angst – gerade erst hat sie beschlossen, Klavier zu lernen.
12/05/2022