Der vielseitig begabte, französische Jungunternehmer macht sich für künstliche Intelligenz stark, um dank dieser bahnbrechenden Innovation einen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft zu bewirken.
Der Kopf in den Sternen, mit Siebenmeilenstiefeln gewappnet, aber mit beiden Beinen am Boden: Der 29-jährige Alexandre Cadain ist ein Multitalent, stets auf dem Sprung, mit einem schwindelerregenden Lebenslauf. Er hat drei Hochschulabschlüsse – HEC, École Normale Supérieure (ENS) und Sorbonne – und eine bereits beträchtliche Berufserfahrung: Gründer einer Kunstgalerie während seines Studiums, zeitweise Vertreter Frankreichs bei der Entwicklung von Hyperloop Transportation Technologies, Koorganisator des Seminars „Postdigital“ an der ENS, Botschafter der XPRIZE-Stiftung, Berichterstatter der UNO-Konferenz „AI For Good“ und 2017 Mitbegründer des Innovation Lab Anima zusammen mit Amir Banifatemi, seinem ehemaligen Chef in der XPRIZE-Stiftung.
„Ungeachtet futuristischer und extremer Aussagen über künstliche Intelligenz kann KI auch sofortige, positive Effekte zeitigen.“
Fast könnte man meinen, Alexandre Cadain habe das Geheimnis des „Beamens“ gelüftet und besitze die Gabe der Allgegenwärtigkeit! Nah dran war er mit dem Hyperloop-Projekt, einer Idee von Elon Musk für ein Verkehrsmittel, das sich mit mehr als 1000 km/h fortbewegt, oder mit dem jüngsten Projekt der XPRIZE-Stiftung namens Avatar. Die verrückten Träume des amerikanischen Unternehmers scheinen den jungen Mann jedoch nicht überzeugt zu haben. „Um noch schneller zu werden, geht es immer geradeaus in einem geschlossenen Tunnel, der daran hindert, andere Wege zu erkennen; letztlich schrumpft dadurch die Welt“, erklärte er bei seinem TEDxParis-Vortrag „Was kommt eigentlich nach der Zukunft?“ am 6. November 2017 in Paris.
Mit seiner Firma Anima zieht er es seither vor, andere – kollektive, nicht individuelle – Wege zu erkunden, eher auf den Gemeinschaftssinn und nicht auf den Übermenschen ausgerichtet. „Wir sind beispielsweise gerade dabei, die Plattform AI Commons einzurichten, mit der wirtschaftliche und soziale Akteure ihre Daten mit KI-Labs oder anderen Problemsolvern teilen können, um bestimmte Herausforderungen unseres Anthropozäns anzugehen, die zu komplex geworden sind, um noch von Menschen analysiert werden zu können“, berichtet Alexandre Cadain.
Ein Mittelweg für KI
Sein Mantra heute lautet, einen Beitrag zu „positiv wirkender künstlicher Intelligenz“ zu leisten, anders gesagt einer KI, „die viele Wege eröffnet, uns erweitert und nicht auf das Niveau einer Maschine reduziert“. „Über den Schwarz-Weiß-Diskurs über künstliche Intelligenz hinaus, entweder sehr negativ und dystopisch, oder überaus positiv und idealistisch, gibt es einen Mittelweg, auf dem KI sofortige, positive Effekte zeitigen kann. Daran arbeiten wir zum Beispiel mit der UNO, um herauszufinden, mit welchen Mitteln die 17 Nachhaltigkeitsziele, die wir jedes Jahr mit 33 Agenturen und Dutzenden Forschungseinrichtungen angehen, erreicht werden können“, präzisiert er.
Abgesehen von Organisationen wie der UNO ist der Fokus von Anima jedoch vorrangig auf die Unternehmenswelt gerichtet. Auch hier setzt der Jungunternehmer auf Disruption, um von geradliniger Innovation wegzukommen: „Auch auf Unternehmensebene ist ‚Leapfrogging’ von großem Interesse, d.h. die Fähigkeit, ohne Übergang von einer Etappe zur nächsten zu springen, zum Beispiel auf Ebene eines Landes der Sprung von einer Agrargesellschaft in das Digitalzeitalter ohne die dazwischen liegende Phase der Industrierevolution. In einer Zeit des raschen Wandels und drängender Umweltfragen sollte es zur Norm werden, Business-Modelle radikal zu überdenken, um zu einer positiven Zukunft beizutragen“.
Das alles gilt es entsprechend zu orchestrieren. Alexandre Cadain setzt hier auf die „Moonshot“-Methode, auf die sich die in Paris und Los Angeles ansässige Firma Anima spezialisiert hat. Unter Moonshot ist ein wegweisendes Projekt zu verstehen, das einen positiven Masseneffekt für die Gesellschaft anpeilt, sagen wir ein Projekt, das eine Milliarde Menschen betrifft und keine kurzfristige Rentabilität anstrebt. Das Konzept lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: Angehen eines Metaproblems über einen radikalen kreativen Ansatz, häufig mit Einsatz von Spitzentechnologien. Hyperloop, aber auch Coursera und Wikipedia sind demnach Moonshots.
Eher Renaissance als Singularität
„Anima produziert Moonshots. Wir kreieren disruptive Innovationen, die mit Technologien wie künstlicher Intelligenz grundlegende Veränderungen für die Wirtschaft und die Gesellschaft im Allgemeinen bewirken. Unsere Arbeit erstreckt sich von der Vorbereitung eines Moonshots über die Ideengenerierung, die Gestaltung und die Architektur bis hin zur Umsetzung. Unser Kerngeschäft besteht darin, herauszufinden, welches die richtigen Partner, die geeigneten Labs sind, um beispielsweise an Fragen der prädiktiven Medizin zu arbeiten“, erklärt Alexandre Cadain. Dieses Fachwissen hat er sich im Rahmen der XPRIZE-Stiftung als Botschafter Europas beim IBM Watson AI XPRIZE-Projekt – einer internationalen Challenge, die darauf abzielt, neue KI-basierte Lösungen hervorzubringen – angeeignet und seit 2016 noch weiter ausgebaut.
Der Jungunternehmer, der bereits die französische Weltraumagentur Centre National d’Etudes Spatiales, thecamp, La Poste, Chanel, Framestore und Ubisoft zu seinen Partnern und Kunden zählt, ist nicht von seinen anfänglichen Idealen abgewichen, als er 2013 und 2014 im Rahmen eines HEC-Programms zur Förderung von sozialem Unternehmertum mittels Mikrokredit-, Solarenergie- und Berufsbildungsprojekten mit drei Kommilitonen Afrika, Asien und Südamerika bereiste. In einer Rede zu Beginn des Studienjahrs 2017 an der Wirtschaftshochschule HEC fasste er seinen Approach wie folgt zusammen: „Nutzung der Technologie für das Wohl der Menschheit und Umwelt, getragen von einem Gedankengut, das mehr der europäischen Renaissance als der kalifornischen Singularität gleicht“.