Die Fechtmeisterin, hauptberuflich Ingenieurin im Luft- und Raumfahrtsektor, schreibt in ihrer Freizeit illustrierte Kinderbücher. Porträt einer resoluten Frau, die das Leben gelehrt hat, sich anzupassen.
Bewährungsproben gab es für Astrid Guyart schon viele. Im Leben wie im Wettkampf. Die Fechtmeisterin und mehrfache Medaillengewinnerin erholt sich seit November 2018 langsam von einer Knieoperation. Mit 36 Jahren ist sie nach wie vor fest entschlossen, im Mai 2019 an den Vorauswahlkämpfen für die Aufnahme in die französische Mannschaft für die Olympischen Spiele nächstes Jahr in Tokio teilzunehmen. „Der Schlüssel für eine Topkarriere ist Anpassungsfähigkeit“, meint die Fechterin.
Nach einer Hüftverletzung im Jahr 2007, die sie daran hindert, ihrem Sport wie bisher nachzugehen, stellen die Ärzte sie vor die Wahl: entweder vom Wettkampf Abstand zu nehmen, wenn sie ihre Gesundheit nicht aufs Spiel setzen will, oder diesen Sport völlig anders anzugehen.
„Um meinen Olympia-Traum zu erfüllen, habe ich mich für die zweite Option entschieden“, führt sie aus. „Ich habe mir eine neue Technik erarbeitet, konnte dadurch mein Niveau verbessern und eine Stufe höher klettern. Heute ist das meine Geheimfinte, die alle Gegnerinnen fürchten. Wie Darwin schon sagte: Alles, was wir zu gegebener Zeit überstehen, macht uns auf Dauer stärker.“
Mit dem Fechten kam Astrid Guyart schon sehr früh in Berührung, als sie im Alter von fünf Jahren im Pariser Vorort Le Vésinet ihren großen Bruder Brice, heute ebenfalls Fecht-Champion, zu seinem wöchentlichen Fechtkurs begleitete. Ungefähr zur gleichen Zeit entdeckte die kleine Astrid noch eine andere Leidenschaft für sich: den Weltraum.
Mit funkelnden Augen
„Die Entstehung des Universums und die Theorie vom Big Bang haben mich immer schon fasziniert“, erinnert sie sich noch heute mit funkelnden Augen. Sie überlegte nicht lange und begann nach dem Abitur ein Doppelstudium. So studierte sie am französischen Sportinstitut INSEP die Disziplin Fechten und belegte an der Technischen Universität Sceaux die Fachrichtung Luft- und Raumfahrt. „Viele sagten mir damals: ‚Du musst dich entscheiden.‘ Für mich war es jedoch wichtig, meinem Kurs zu folgen und daran zu glauben.“
Ihr Plan ist aufgegangen: Astrid Guyart wurde nicht nur Meisterin im Florettfechten, sondern begann 2006 auch ihre Laufbahn bei EADS, war dann ab 2013 bei Airbus, bevor sie Ende 2016 zu ArianeGroup wechselte. Dort war sie zunächst im Bereich Design-Engineering für künftige Raumfahrzeuge tätig. 2016 wurde sie zur Leiterin des Labors für Werkstoffe und Verfahren zur Entwicklung neuer Weltraumtechnologien ernannt.
„Es wird immer Leute geben, die sagen, das sei ein Ding der Unmöglichkeit. Wichtig ist, seinen Kurs zu halten und an seine Träume zu glauben.“
Fechten und Luft- und Raumfahrt: ein und derselbe Kampf? „Ich bin ich, in jeder Lebenslage. Daher kommen im Beruf zwangsläufig auch Eigenschaften zum Tragen, die ich mir im Spitzensport zu eigen gemacht habe“, meint sie. „Immer die Besten um sich versammeln (alleine kommt man im Sport nicht weiter), aufgeschlossen und wissbegierig sein (ein Sportler muss ständig nach neuen Techniken und Methoden suchen), und ein hohes Konzentrationsvermögen: Im Sport wie im Beruf, ob in einer Sitzung, bei Verhandlungen oder anlässlich einer Kundenpräsentation, muss man immer hundert Prozent geben.“
Seit April 2019 ist Astrid Guyart von ihrem Arbeitgeber ArianeGroup freigestellt, um sich voll und ganz der Vorbereitung für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio widmen zu können. Dieser Termin ist wesentlich für ihre Sportkarriere, hindert sie jedoch nicht daran, aktiv am Ausschuss der Athleten unter Leitung von Martin Fourcade mitzuarbeiten, der mit der Vorbereitung und Organisation der Olympischen Spiele 2024 in Paris betraut ist.
„Wir arbeiten derzeit an der Planung des Olympischen Dorfs. Eine echte Bereicherung für mich, da ich mich mit Themen befasse, mit denen ich sonst nicht in Berührung komme“, kommentiert sie begeistert. „Wir sind uns dessen nicht immer bewusst, aber letztlich sind wir alle vielseitige Talente!“
Aus Fehlern lernen
Ein weiteres Talent, das 2016 zu Tage kam, will Astrid Guyart ebenfalls weiter pflegen: das Schreiben von Kinderbüchern. „Ich wollte meiner Nichte ein Buch über Sport schenken, habe aber nichts gefunden, was die Fantasie eines Kindes rund um Sport beflügeln könnte. Daher beschloss ich, selbst eine Geschichte zu verfassen. Daraus wurde die Kollektion ‚Les Incroyables Rencontres de Jo’ (Die unglaublichen Begegnungen von Jo). Der Held Jo – das französische Akronym für Olympische Spiele – trifft dabei auf einen Champion in spe“, erläutert sie. Im März 2017 erschienen im Verlag Le Cherche Midi die drei ersten Bände („Jo, haut perché“ über Stabhochsprung, „Le face-à-face de Jo“ über Fechten und „Le rebond de Jo“ über Basketball). Im April 2018 kam ein weiterer Band hinzu („Le coup de main de Jo“ über Handball) und im Oktober 2019 wird noch einer folgen.
Ob beim Schreiben, im Sport oder im Beruf, hat Astrid stets aus ihren Erfolgen, aber auch aus ihren Misserfolgen gelernt: „Ein Sieg festigt das bisher Erreichte. Ein Fehlschlag zwingt zur Frage ‚Wie kann ich es besser machen? Welche Lehren kann ich daraus ziehen?’ Mit sich selbst unzufrieden zu sein, stachelt an, alles zu tun, damit das nicht mehr vorkommt. Es ist ein Sprungbrett für künftigen Fortschritt“, folgert diese unermüdliche Kämpferin.
10/07/2019