Anabelle Bories leitet die in Südfrankreich ansässige Business Unit Omexom RE Solar. Für sie bedeutet das Eigenständigkeit, Verantwortung, Unternehmergeist und Solidarität – ein Posten, der keine Wünsche offen lässt.
„Das große Ganze überblicken, statt nur ein Rädchen im Getriebe zu sein.“ So lautet das Credo von Anabelle Bories, das sie schon ihr gesamtes Berufsleben begleitet. Und das beschreibt auch ihre Position als BU-Leiterin von Omexom RE Solar, die sie seit September 2023 bekleidet. „In dieser Funktion hat man viel Verantwortung, kann aber auch selbst gestalten, kreativ sein und Initiativen anstoßen, um der Business Unit eine eigene Richtung zu geben.”
Die 41-jährige leitet ein 40-köpfiges Team im südfranzösischen Montpellier. Ihr gefällt, dass sie den Takt vorgibt und mit verschiedensten Ansprechpartner:innen zu tun hat. „Es ist eine große Bereicherung und Motivationsquelle, einen Rundum-Blick über das Geschäft zu haben und strategische Entscheidungen zu treffen. Manchmal ist es wie im Rausch – aber man kann durchaus auch Höhenangst bekommen“, gibt sie lächelnd zu.
Schlüsselfertige Lösungen
Schon in ihrer ersten Stelle, die sie 2006 als frisch gebackene, 23-jährige Ingenieurin bei Areva T&D Automation antrat, managte sie Projekte von A bis Z. Das Unternehmen führte schlüsselfertige Energieinfrastruktur-Projekte (EPC – Engineering, Procurement and Construction) in Libyen und Katar durch. „Damals lernte ich viel über Vertragsmanagement. Arbeitssprache war Englisch, es gab feste Prozesse, die einzuhalten waren. Eine hervorragende Schule.”
Weil sie im Ausland arbeiten wollte, nahm sie ein Stellenangebot in China an, beim chinesischen Windkraftanlagenhersteller Goldwind. Sie verbrachte anderthalb Jahre am Goldwind-Sitz in Ürümqi (Urumtschi), der Hauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebietes Xinjiang – ein Wendepunkt für die Nachwuchsingenieurin: „Damals hat sich meine Weltsicht deutlich erweitert und verändert, ich bekam ganz neue Einblicke.“ Beruflich hatte Bories jedoch Mühe, ihren Platz im Unternehmen zu finden.
„Ich habe einen Rundum-Blick über das Geschäft und treffe strategische Entscheidungen.”
2009, mitten in der Wirtschaftskrise, zog sie zurück nach Frankreich und übernahm eine Stelle als Projektingenieurin im Fachbereich Kesselbau auf der EPR-Baustelle Flamanville des Stromerzeugers EDF. „Bei einem so riesigen Projekt ist alles extrem durchorganisiert. Es ist eine der größten Baustellen Europas, und es war nicht wirklich möglich, das Ergebnis der eigenen Arbeit zu sehen.“ Vom „Big Picture“, das sie so gerne sieht, konnte also keine Rede sein…
Auf Sinnsuche
Deshalb wechselte Bories 2012 als Projektleiterin zu Cegelec (VINCI Energies). Dort ging es um die schlüsselfertige Errichtung (EPC) von Kraftwerken.
„Ich wollte in kleineren, drei bis vier Jahre laufenden Projekten mit einem Dutzend Leuten arbeiten“, sagt sie.
So denkt sie beispielsweise gerne an die Modernisierung des Kraftwerks Mwadingusha in der Demokratischen Republik Kongo zurück. „Organisatorisch war das ein komplexes Projekt mit lokalen, französischen, aber auch belgischen und schweizerischen Beteiligten. Ich war mehrmals länger vor Ort. Das Projekt hatte große Bedeutung für die DR Kongo, und es war toll, dazu beitragen zu können.“
Aber nach sechs Jahren hatte Anabelle Bories Lust, auf die andere, die Kundenseite zu wechseln. So geht sie zu Albioma, eine auf die Erzeugung erneuerbarer Energien spezialisierte Firma. Sie stellt auf La Réunion und Guadeloupe drei Kraftwerke von Kohle und Zuckerrohr-Bagasse auf Biomasse (Holzpellets) um.
Allerdings bleibt sie nicht lange bei dem Unternehmen. Mit 35 denkt die junge Ingenieurin über ihre Zukunft und darüber nach, wie sie mit ihrer Arbeit einen echten Unterschied machen kann. „Meine Laufbahn seit Studienende war bis dahin extrem gradlinig, und ich wollte einfach noch etwas anderes sehen“, erzählt sie. „Ich habe mich in dieser Zeit viel weitergebildet, einen Coachinglehrgang absolviert und Gesangsstunden genommen, lebte drei Monate zum Spanischlernen in Kolumbien. Außerdem wurde ich Mitglied im Verein „Tous Elus“, der für mehr Diversität in der Politik eintritt.”
Engagiert für die Gleichstellung
Ein sehr vielfältiges Programm, durch das ihr letztlich bewusst wurde, was sie wirklich machen wollte – nämlich Projektmanagement im Bereich erneuerbare Energien, möglichst in ihrer Heimatregion um die südfranzösische Stadt Montpellier. „EDF Renouvelables erfüllte alle meine Kriterien. Drei Jahre lang war ich dort Bauprojektleiterin für große Photovoltaik-Anlagen. So konnte ich auf Auftraggeberseite erleben, wieviel Planung im Projektvorfeld notwendig ist, und war im ständigen Kontakt mit ausgesprochenen PV-Fachleuten.”
Heute, als Leiterin der BU Omexom RE Solar, stützt sie sich auf diese reichhaltige Berufserfahrung, um innovative, schlüsselfertige Projekte abzuwickeln, von der Überbauung des Parkplatzes am Flughafen von Lyon mit Solardächern über einen Solarpark auf dem Gelände stillgelegter Uranbergwerke in Westfrankreich bis hin zu einer Agrovoltaik-Anlage im südfranzösischen Departement Aude. Gleichzeitig tritt sie unermüdlich für die Gleichstellung ein.
Sie engagiert sich als Patin im Verein „Elles bougent“, besucht Gemeinschaftsschulen und Gymnasien, um Schülerinnen über Karrieremöglichkeiten in technischen Berufen zu informieren. Außerdem ist sie Mitglied im Netzwerk „Hub au Féminin en Occitanie“, das weibliche Führungskräfte und Managerinnen von VINCI Energies zusammenbringt. Für Bories ist das eine Frage der Überzeugung: „Es ist wichtig, Berufungen zu fördern, Vorurteile abzubauen und einfach mehr möglich zu machen.”
13/06/2024